Tödliche Liebe: Roman (German Edition)
Chicago, 1994
E s war Mitternacht in Chicago, eine Nacht ohne Mond. Deanna kam sich in diesem Augenblick allerdings vor wie in dem Film Zwölf Uhr mittags . Ohne Schwierigkeiten konnte sie sich in die Rolle des ruhigen, würdevollen, beherzten Gary Cooper hineinversetzen, der sich gerade darauf vorbereitete, den verschlagenen, rachsüchtigen Revolverhelden zur Strecke zu bringen.
Verdammt! dachte Deanna. Chicago war doch ihre Stadt und Angela die Außenstehende!
Vermutlich entsprach es Angelas Sinn für Dramatik, sie genau in dem Studio zur entscheidenden Kraftprobe herauszufordern, in dem sie beide die schlüpfrige Leiter ihrer ehrgeizigen Bestrebungen erklommen hatten, dachte Deanna. Mittlerweile jedoch war das hier ihr Studio und ihre Talk-Show – Deannas Stunde –, die den Löwenanteil an Einschaltquoten einbrachte, und daran würde auch Angela nichts ändern können, es sei denn, sie ließ Elvis von den Toten auferstehen und bat ihn, dem Studiopublikum ›Heartbreak Hotel‹ vorzusingen.
Ein flüchtiges Lächeln huschte über Deannas Lippen, doch war ihr keineswegs zum Scherzen zumute. Angela – eine würdige Gegnerin! Die ganzen Jahre hindurch hatte sie mit einer abscheulichen Taktik dafür gesorgt, daß ihre tägliche Talk-Show auf dem ersten Platz blieb.
Doch was immer Angela dieses Mal auch im Schilde führen mochte, ihre Strategie würde nicht aufgehen. Sie hatte Deanna Reynolds unterschätzt. Sollte sie doch nur von Geheimnissen munkeln und mit Skandalen drohen, soviel sie wollte! Sie konnte unmöglich irgend etwas vorbringen, das Deanna veranlassen würde, ihre Pläne zu ändern.
Jedenfalls werde ich Angela ausreden lassen, dachte Deanna. Vielleicht werde ich sogar ein letztes Mal versuchen, mich auf einen Kompromiß einzulassen, und ihr zwar nicht gerade meine Freundschaft, aber doch zumindest einen einstweiligen Waffenstillstand anzubieten. Es gab zwar nur wenig Grund zu der Hoffnung, daß nach dieser ganzen Zeit und all diesen Feindseligkeiten die Kluft zwischen ihnen überbrückt werden konnte, doch war Deanna der Ansicht, daß man die Hoffnung nie aufgeben sollte.
Zumindest, solange es noch ein Fünkchen Hoffnung gab.
Die junge Frau lenkte ihre Gedanken wieder auf das, was sie gerade tat, und fuhr auf den Parkplatz des CBC-Gebäudes. Tagsüber war dieser Parkplatz völlig überfüllt; Leute von der Technik und aus den Redaktionen, Produzenten und Regisseure, Sekretärinnen, Künstler, Schauspieler, Moderatoren und die vielen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – alle stellten hier ihren Wagen ab. Sie selbst ließ sich immer von ihrem Fahrer absetzen und wieder abholen und vermied so das lärmende Durcheinander. Im Innern des großen weißen Gebäudes hasteten normalerweise die Menschen hin und her, um die Nachrichten auf die Beine zu stellen, die um sieben Uhr morgens, zwölf Uhr mittags, fünf Uhr nachmittags und zehn Uhr abends ausgestrahlt wurden. Auch die Sendungen Das Kochstudio mit Bobby Marks, das allwöchentliche Magazin Nachgefragt mit Finn Riley und die landesweit beste Talk-Show, Deannas Stunde , wurden hier produziert.
Jetzt jedoch, kurz nach Mitternacht, war der Parkplatz nahezu leer. Nur ein halbes Dutzend Autos waren zu sehen. Sie gehörten dem Stammpersonal, das sich in der Nachrichtenredaktion die Zeit um die Ohren schlug und darauf wartete, daß irgendwo in der Welt etwas passierte. Wahrscheinlich hofften sie darauf, daß der Ausbruch neuer Kriege bis zum Ende der einsamen Nachtschicht auf sich warten ließ.
Während Deanna ihren Wagen einparkte und den Motor abschaltete, wünschte sie sich, woanders zu sein, ganz egal wo. Für einen Moment blieb sie einfach sitzen und lauschte in die Nacht hinein, hörte das Brausen des Straßenverkehrs
und das Dröhnen der gewaltigen Klimaanlage, die das Gebäude und die teuren Gerätschaften darin kühl hielt. Bevor sie Angela gegenübertrat, mußte sie unbedingt ihre widersprüchlichen Gefühle in den Griff bekommen und ihre seelische Stärke wiedergewinnen.
Seelenstärke und Selbstbeherrschung waren in dem Beruf, den sie sich ausgesucht hatte, zu ihrer zweiten Natur geworden; erst diese Eigenschaften befähigten sie zu ihrer Arbeit. Eigentlich hatte sie ihr Temperament unter Kontrolle, denn es führte zu nichts, die Fassung zu verlieren. Bei den starken und sich widersprechenden Gefühlen, die momentan mit ihr durchzugehen drohten, war das jedoch anders. Auch nach der ganzen Zeit, die mittlerweile
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