Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe
sollte, das den Kindern als Lesebuch in der Schule dienen könnte. Von Weihnachten bis zum Herbst hatte sie sich über ihre Aufgabe besonnen; aber bis jetzt war noch nicht eine einzige Zeile an dem Buche geschrieben, und schließlich war sie der ganzen Aufgabe so überdrüssig geworden, daß sie sich sagte: „Auf diese Weise bringst du nichts zustande, setz dich lieber hin und dichte Geschichten und Märchen wie sonst, und laß jemand anders dieses Buch schreiben, das lehrreich und ernst sein soll und in dem kein unwahres Wort stehen darf.“
Sie war so gut wie entschlossen, ihr Vorhaben aufzugeben; aber sie hätte eben doch gar zu gerne etwas Schönes über Schweden geschrieben, und es wurde ihr sehr schwer, die Arbeit ungetan zu lassen. Schließlich kam ihr der Gedanke, ob sie nicht am Ende deshalb mit dem Buche nicht zustande komme, weil sie in einer Stadt sitze und nichts als Straßen und Mauern vor sich sehe. „Vielleicht geht es besser, wenn ich aufs Land reise und Felder und Wälder betrachten kann,“ dachte sie.
Sie stammte aus Wärmland, und sie war fest entschlossen, das Buch mit dieser Landschaft beginnen zu lassen. Und vor allem wollte sie von dem Hof erzählen, auf dem sie aufgewachsen war. Es war ein kleiner Herrenhof, der ganz einsam und weltabgeschieden dalag und auf dem sich noch viele altertümliche Sitten und Bräuche erhalten hatten. Sie dachte, den Kindern würde es gewiß gefallen, wenn sie von allen den Beschäftigungen hörten, die im Laufe des Jahres einander ablösten. Sie wollte erzählen, wie bei ihr daheim Weihnachten und Neujahr, Ostern und das Johannisfest gefeiert worden wären; was für Möbel und Hausgeräte sie gehabt hätten, wie es in der Küche und in der Vorratskammer, in Kuh- und Pferdestall, in Brauhaus und in der Badestube ausgesehen hätte. Aber als sie sich nun daran machte, dies zu beschreiben, wollte die Feder gar nicht übers Papier hingleiten. Die Schriftstellerin konnte durchaus nicht begreifen, woher das kam; aber es war jedenfalls so.
Sie sah aber doch alles miteinander so deutlich und lebendig vor sich, wiewenn sie noch immer mitten darin gelebt hätte! Trotzdem kam sie nicht vorwärts, und schließlich dachte sie, da sie nun doch einmal aufs Land reisen wolle, wäre es vielleicht am besten, sie stattete dem alten Hofe einen Besuch ab und besähe sich ihn noch einmal genau, ehe sie an dessen Beschreibung ginge. Sie war seit vielen Jahren nicht mehr dagewesen, und der Gedanke, daß sie nun hier eine Veranlassung zum Hinreisen habe, machte ihr das Herz warm. Eigentlich trug sie immer eine Art Heimweh nach dem alten Hofe mit sich herum, sie mochte sein, wo sie wollte. Sie sah ja wohl, daß andre Orte schöner und besser waren; aber nirgends überkam sie jenes Gefühl der Sicherheit und des Wohlbehagens, wie sie es in ihrer Kinderheimat immer gehabt hatte.
Diese Reise in die alte Heimat war indes gar nicht so einfach für sie, wie man meinen könnte, denn der Hof war an eine ihr ganz fremde Familie verkauft worden. Sie dachte freilich, man würde sie gewiß freundlich aufnehmen; aber sie wollte ja nicht in die alte Heimat kommen, um mit fremden Menschen zu plaudern, sondern um sich alles so recht deutlich ins Gedächtnis zurückzurufen, wie es früher da gewesen war. Deshalb richtete sie es so ein, daß sie spät am Abend auf Mårbacka eintraf, zu einer Zeit, wo schon Feierabend gemacht worden war und das Gesinde sich im Hause befand.
Sie hätte nie gedacht, daß es so seltsam sei, in die alte Heimat zurückzukehren. Während sie im Wagen saß und nach dem alten Hofe fuhr, war es ihr, als werde sie mit jeder Minute jünger und immer jünger, und bald war sie nicht mehr eine, deren Haar sich schon grau zu färben begann, sondern ein kleines Mädchen mit kurzen Röcken und einem langen flachsblonden Zopf. Während sie so dahinfuhr und jeden Hof am Wege wieder erkannte, konnte sie es nicht lassen, sich vorzustellen, daß daheim auch alles ganz genau wie in früheren Zeiten sein müsse. Wenn sie ankam, standen Vater und Mutter und die Geschwister auf der Treppe und hießen sie willkommen. Die alte Haushälterin lief ans Küchenfenster, um zu sehen, wer käme, und Nero und Freya und noch ein paar andre Hunde kamen dahergerannt und sprangen an ihr hinauf!
Je mehr sie sich dem Hofe näherte, desto glücklicher fühlte sie sich. Es war Herbst, und eine emsige Zeit mit einer Menge Arbeit stand bevor. Aber gerade diese verschiedenen Arbeiten waren es, warum einem das
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