Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe
kleiner und schwächer fühlten sie sich selbst.
‚Meine Augen sind nicht mehr so gut wie früher,‘ sagte der Riese, ‚und ich kann euch kaum unterscheiden; ich hätte mich sonst gefreut, zu sehen, wie ein Westgöte heutigentags aussieht. Einer von euch reiche mir indes wenigstens die Hand, damit ich fühle, ob es noch warmes Blut in Schweden gibt.‘
Die Männer betrachteten zuerst die Hände des Riesen und dann ihre eignen. Keiner der beiden hatte Lust, den Händedruck des Riesen kennen zu lernen. Aber dann fiel ihr Blick auf einen eisernen Spieß, den der Riese zum Anfachen seines Feuers benützte. Er war im Feuer liegen geblieben und an dem einen Ende glühend rot. Mit vereinten Kräften hoben die beiden Männer die Stange auf und streckten sie dem Riesen hin. Er ergriff den Spieß und preßte die Hand so fest darum, daß ihm das Eisen zwischen den Fingern herausquoll.
‚O ja, ich merke wohl, es gibt noch heißes Blut in Schweden,‘ sagte er ganz vergnügt zu den verblüfften Seeleuten.
Dann wurde es wieder still um das Feuer her; aber diese Begegnung mit Landsleuten führte die Gedanken des Riesen zurück nach Westgötland, und eine Erinnerung nach der andern tauchte vor seiner Seele auf.
‚Ich möchte wohl wissen, wie es jetzt am Skalundaer Hügel aussieht?‘ fragte er die beiden Männer.
Keiner von ihnen wußte etwas von dem Hügel, nach dem der Riese fragte.
Die Sage von Westgötland
(Zu Seite 480)
‚Er wird wohl seither tüchtig zusammengesunken sein‘, antwortete der einezögernd. Er hatte das Gefühl, einem solchen Fragesteller dürfe man keine Antwort schuldig bleiben.
‚Freilich, freilich, ich habe es mir wohl gedacht,‘ erwiderte der Riese mit einem zustimmenden Kopfnicken. ‚Man kann auch nichts andres erwarten, denn diesen Hügel haben meine Frau und meine Tochter einmal am frühen Morgen in einer Stunde in ihren Schürzen zusammengetragen.‘
Wieder grübelte er nach und suchte in seinen Erinnerungen. Er hatte ja Westgötland nicht erst vor kurzem verlassen, und es dauerte eine Weile, bis er zu diesen Erinnerungen hindurchgedrungen war.
‚Aber der Kinnekulle und Billinge und die andern kleinern über die große Ebene verstreuten Berge stehen doch wohl noch?‘ fragte er wieder.
‚Jawohl, die stehen noch,‘ antwortete der Seemann; und um dem Riesen zu zeigen, daß er ihn für einen tüchtigen Mann halte, fuhr er fort: ‚Ihr habt wohl beim Errichten von diesen Bergen mitgeholfen?‘
‚Nein, das gerade nicht,‘ sagte der Riese. ‚Aber soviel kann ich dir sagen, meinem Vater habt ihr es zu verdanken, daß diese Berge noch dastehen. Als ich noch ein kleiner Bursche war, gab es in Westgötland keine große Ebene, sondern da, wo jetzt die Ebene sich ausbreitet, lag eine Felsengegend, die sich vom Wettersee bis zum Götaälf erstreckte. Aber dann nahmen sich ein paar Flüsse vor, sich ihr Bett durch das Gebirge hindurchzugraben und bis zum Wenersee hinunterzufließen. Das Gebirge bestand nicht aus richtigem Granit, sondern aus Kalkstein und Schiefer, deshalb konnten es die Flüsse leicht auswaschen. Ich erinnere mich noch, daß sie das Flußbett und die Täler breiter und immer breiter machten und schließlich zu wahren Ebenen ausweiteten. Mein Vater nahm mich manchmal mit, wenn er hinging und sich die Arbeit der Flüsse ansah, und der Vater war nicht so recht damit einverstanden, daß die Flüsse das ganze Gebirge zerstörten.
‚Ein paar Ruheplätze könnten sie uns wenigstens noch übrig lassen,‘ sagte er, und zugleich zog er seine steinernen Schuhe aus und stellte den einen ganz im Westen und den andern ganz im Osten des Gebirges auf. Seinen steinernen Hut legte er auf eine Felskuppe am Wenersee, meine steinerne Mütze schleuderte er etwas weiter gen Süden, und seine steinerne Keule schickte er in derselben Richtung hinterdrein.
Was wir sonst noch von guten, harten Steinen bei uns hatten, legte er an verschiedenen Orten nieder. Die Flüsse spülten dann allmählich das ganze Gebirge weg, aber an den Stellen, die mein Vater mit seinen steinernen Sachen bedeckt hatte, wagten sie nicht zu rühren, und so blieben sie stehen. Da, wo mein Vater seinen einen Schuh hingestellt hat, ist unter dem Absatz der Halleberg und unter der Sohle der Hunneberg stehen geblieben. Unter dem andern Schuh ist Billinge erhalten, Vaters Hut hat den Kinnekulle bewahrt, unter meiner Mütze liegt der Mösseberg, und unter der Keule birgt sich Ålleberg. Alle andern kleinen Berge der
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