Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Titel: Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
Vom Netzwerk:
die Kleine Karlsinsel. Als der Widder ganz an den Rand der Felsenkuppe trat, so daß der Junge die Bergwand hinunterschauen konnte,sah er, daß sie voller Vogelnester war, und in der blauen Flut unten lagen in friedlicher Vereinigung die verschiedensten Arten von Möwen, Eidervögeln und Lummen und Alken, die eifrig Strömlinge fischten.
    „Dies ist wirklich ein gelobtes Land,“ sagte der Junge. „Ihr habt es wahrlich gut, ihr Schafe.“
    „Jawohl, es ist schön hier,“ sagte der Widder. Es war, als wollte er noch etwas hinzufügen, sagte aber doch nichts, sondern seufzte nur. „Aber wenn du allein hier umhergehst,“ fuhr er nach einer Weile fort, „dann nimm dich ja vor allen den Spalten in acht, die über den Berg hinlaufen.“ Und das war eine gute Warnung, denn an mehreren Stellen waren tiefe und breite Felsenrisse. Die größte von diesen Spalten heiße das Höllenloch, sagte der Widder, es sei mehrere Meter tief und mehr als einen Meter breit. „Wenn einer da hinunterfiele, dann wäre es aus mit ihm,“ fügte der Widder noch hinzu, und dem Jungen kam es vor, als habe er dies mit einer besondern Absicht gesagt.
    Nun führte er den Jungen an den Strand hinunter. Da bekam er denn auch die Riesen, die ihn in der Nacht erschreckt hatten, in der Nähe zu sehen. Es waren große Felsengebilde; der Widder nannte sie „Raukar“, und der Junge konnte sich nicht satt daran sehen. Er meinte, wenn es wirklich in Steine verwandelte Zauberer gäbe, müßten sie so aussehen.
    Obgleich es unten am Strande auch recht schön war, gefiel es dem Jungen doch noch besser oben auf der Felsenhöhe. Es war ihm unheimlich da unten, weil überall tote Schafe lagen, denn hier pflegten die Füchse ihre Mahlzeiten zu halten. Der Widder und der Junge sahen vollständig abgenagte Skelette, aber auch Körper, die nur halb abgefressen waren, und wieder andre, die die Füchse ganz unversehrt gelassen hatten. Mit Grausen sahen sie, daß die wilden Tiere nur zu ihrem Vergnügen über die Schafe herfielen, nur um zu jagen und zu morden.
    Der Widder hielt nicht bei den Toten an, sondern ging still an ihnen vorbei. Aber selbstverständlich sah der Junge die ganze Abscheulichkeit; er konnte nicht anders.
    Jetzt stieg der Widder wieder den Berg hinauf; als er aber oben angekommen war, blieb er stehen und sagte: „Wenn jemand, der klug und tüchtig wäre, all dieses Elend hier zu sehen bekäme, dann würde er gewiß nicht ruhen, bis die Füchse ihre gerechte Strafe bekommen hätten.“
    „Die Füchse müssen aber doch auch leben,“ sagte der Junge.
    „Jawohl,“ erwiderte der Widder. „Und wer nicht mehr Tiere tötet, als er zu seinem Unterhalt bedarf, der darf wohl am Leben bleiben. Diese hier aber sind Übeltäter!“
    „Die Bauern, denen die Insel gehört, müßten kommen und euch helfen,“ meinte der Junge.
    „Sie sind auch schon mehrere Male hier gewesen,“ sagte der Widder, „aber die Füchse versteckten sich in Höhlen und Felsenspalten, wo man nicht auf sie schießen konnte.“

    „Ach, mein guter Alter, Ihr glaubt doch wohl nicht, daß so ein armer kleiner Wicht wie ich mit ihnen fertig werden könnte, nachdem weder ihr noch die Bauern sie haben überwältigen können?“ sagte der Junge.
    „Wer klein und pfiffig ist, kann vieles ausrichten,“ antwortete der Widder.
    Sie sprachen jetzt nicht weiter von dieser Sache, und der Junge begab sich zu den Wildgänsen, die auf dem Berggipfel weideten. Obgleich er es dem Widder nicht hatte zeigen wollen, war er doch sehr betrübt über das Schicksal der Schafe, und er hätte ihnen gar zu gern geholfen. „Ich will jedenfalls mit Akka und dem Gänserich Martin darüber reden,“ dachte er. „Vielleicht können sie mir einen guten Rat geben.“
    Etwas später nahm der weiße Gänserich den Jungen auf den Rücken und wanderte mit ihm über den Felsengipfel nach dem Höllenloch. Ganz sorglos lief er über die offne Berghöhe hin und schien gar nicht daran zu denken, wie weiß und groß er war. Er suchte sich nicht hinter Erdhaufen oder andern Erhöhungen zu verstecken, sondern ging ruhig seines Weges weiter. Es war merkwürdig, daß er nicht ein bißchen vorsichtig war, denn es schien ihm während des gestrigen Sturmes gar schlecht gegangen zu sein. Er hinkte mit dem rechten Bein, und der linke Flügel schleifte am Boden, als ob er gebrochen wäre.
    Er wanderte umher, als sei durchaus keine Gefahr zu befürchten, biß da und dort einen Grashalm ab und sah sich gar nicht um. Der Junge

Weitere Kostenlose Bücher