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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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den Augen der Leute.
    Darum traute Priska der Erklärung des Probstes nicht ganz. Doch gab es dann überhaupt Dämonen? Und woran konnte man sie erkennen? Kurz nach Adams Verlobung mit Regina hatte sie diese Frage Johann von Schleußig gestellt. Der Priester hatte den Kopf hin- und hergewiegt und dann langsam begonnen: «Das ist eine gute Frage, Priska. Ich glaube, es liegt viel darin begründet, dass sich die Zeiten ändern. Es ist viel Neues in die Welt hineingekommen: Christoph Kolumbus hat Amerika entdeckt, Gutenberg den Buchdruck erfunden, ein italienischer Gelehrter den Wert des Menschen neu bestimmt. Das ist zwar gut, macht aber vielen Leuten Angst – so wie alles Neue.
    Und dann kommt noch hinzu, dass auf der anderen Seite die Not immer größer wird. Die Hungersnöte reißen nicht ab, die Steuern steigen schneller als ein Gebirgsbach nach der Schneeschmelze, neue Krankheiten grassieren, die Herren pressen den Bauern mehr und mehr ab. Die Priester predigen Tugendhaftigkeit, Demut und Bescheidenheit, aber sie selbst gehen in Samt und Seide, haben Geliebte und sind dünkelhafter denn je. Sogar der Papst, der oberste Hirte, hat eine Geliebte und Kinder. Verderbnis und Sittenlosigkeit haben Einzug gehalten bis in die höchsten Kreise.
    Die Leute merken, dass die Welt in Unordnung geraten ist, und das macht ihnen Angst. Sie fürchten sich vor der Zukunft. Und darum suchen sie nach Erklärungen für das, was sie nicht verstehen, fangen an, Dämonen zu sehen.
    Geister, Götter und Dämonen haben schon immer für Unerklärliches herhalten müssen.»
    «Und gibt es sie nun?», hatte Priska ungeduldig nachgefragt.
    Johann von Schleußig hatte mit den Schultern gezuckt. «In der Bibel wird von ihnen berichtet, Priska. Es gibt so vieles zwischen Himmel und Erde, das wir nicht verstehen. Ich weiß nur eines: Viele Dämonen, von denen ich gehört habe, waren keine. Oftmals waren es Dummheit und Borniertheit, manchmal Bosheit, manchmal Schuldbewusstsein, ein andermal Lüge. Immer aber war Feigheit im Spiel. Dort, wo der Mut wohnt, haben Dämonen keine Gelegenheit, ihr Unwesen zu treiben.»
    «Die Leute reden, Adam wäre vom Dämon der widernatürlichen Unzucht besessen.»
    Johann von Schleußig hatte sie ratlos angeblickt. «Ich weiß nichts von der Liebe zwischen den Menschen. Ich weißnur um die Liebe Gottes, Priska. Ich bin Geistlicher. Aber eines ist sicher: Adam muss auf sein sündiges Leben verzichten und ganz neu anfangen. Die Güte unseres Herrn wird ihn führen. Adam muss nur wollen. Für einen Reuigen ist es nie zu spät.»
    Mit diesen Worten hatte er sie nach Hause geschickt und sich geweigert, noch irgendetwas zu dem Thema zu sagen.
    Das war vor vier Wochen gewesen. Seitdem war nicht viel passiert, außer dass Regina von Tag zu Tag fauler geworden war und Priska immer mehr Aufgaben im Haushalt überlassen hatte. So musste sie auch heute nicht nur in der Werkstatt arbeiten, sondern zwischendurch noch auf den Markt gehen, um einzukaufen. Diese Aufgabe wollte Eva Bärbe nicht anvertrauen und hatte sie stattdessen Regina und Priska übertragen. Doch Regina war mal wieder mit ihrer Schönheit beschäftigt. Mit einem kleinen Seufzer machte sich Priska auf den Weg. Sie trug – ähnlich wie die anderen Mägde, Haushälterinnen, Wäscherinnen – ein graues Tuchkleid aus einfachem Stoff und mit einfachem Schnitt, darüber ein Überkleid aus festerem braunen Stoff. Ihr Haar hatte sie mit einem Band zusammengefasst, an den Füßen trug sie Holzpantinen und gestrickte Strümpfe.
    Heute war sie spät dran. Die Bauern hatten ihre Karren bereits auf den Markt gefahren, die Krämer ihre Stände aufgebaut. Dort hatte ein Scherenschleifer sein Lager direkt auf dem gepflasterten Boden aufgeschlagen, da saß eine alte Frau am Rande des Marktes und bot Holz feil, hier pries ein Kesselflicker seine Dienste lautstark an.
    An den Ständen, die dicht an dicht standen, wurden Stoffe, Kämme aus Horn oder Holz, Bänder und Spitzen, vor allem aber Brot, Butter, lebende Hühner, Käse, Wurst,Obst, Gewürze und Spezereien, Gemüse und Fische verkauft. Die Krämerinnen und Händler übertrafen einander an Geschrei, Mägde lachten, Hausfrauen feilschten und stritten, ein paar wandernde Musikanten spielten zweideutige Lieder, und das Fett der zahlreichen Bratküchen zischte. Es roch nach Gewürzen, nach Kohl und Bier; und am hinteren Rande des Marktes stand neben zwei Schreibern und den Viehverkäufern aus dem Polnischen ein Flagellant, der

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