Die Wunderheilerin
neuen Zeit sprachen, in der sich jeder seinen Platz selbst suchen könne.
Ich, beschloss Priska und hob die Hand zum Schwur, werde ab jetzt selbst bestimmen, was mit mir geschieht.
Sie wusste, dass sie das nicht durfte, dass sie nicht sagen konnte, was sie wollte. Die Meisterin würde sie nur verwundert und mit hochgezogenen Augenbrauen ansehen. Also musste sie die Welt dazu bringen, dass zu tun, was sie wollte, ohne es aussprechen zu müssen.
«Ich werde Adam heiraten», beschloss sie in dieser Nacht. «Wie es gelingt, wird sich finden. Aber ich werde seine Frau.»
Viertes Kapitel
Am nächsten Morgen begann der Schnee zu schmelzen. Die Sonne schien so kräftig vom Himmel, dass es für einen Tag Anfang März fast schon zu warm war. Von den Dächern tropfte das Wasser, in den Gassen bildeten sich Pfützen, in denen sich der blaue Himmel spiegelte. Die Schneeglöckchen schüttelten den Winter von den Blättern und reckten die Köpfe der Sonne entgegen. Märzbecher wagten sich hervor, und die ersten Krokusse blühten schon.
Vier Wochen später hatten sich sämtliche Bäume mit Knospen geschmückt, die Winterumhänge waren mottensicher in Kleidertruhen verstaut, und die Menschen blieben in den Gassen stehen, hielten die Gesichter in die Sonne und lächelten einander zu. In der Hainstraße blieben zwei Frauen stehen, als sie ein Schwalbennest entdeckten. «Bauen im April die Schwalben, gibt’s viel Futter, Küh und Kalben», sagte die eine zur anderen.
«Zeit wird’s, dass wieder ein gutes Jahr kommt», bestätigte die andere. «Wir hatten genug auszustehen in der letzten Zeit.»
Priska hörte die Worte der Frauen, als sie das Fenster ihrer Kammer zum Lüften öffnete. Unwillkürlich nickte sie. Ja, das letzte Jahr war tatsächlich nicht gut gewesen. Im Sommer hatte es eine große Raupenplage gegeben; dieBäume hatten kahl gestanden wie im tiefsten Winter. Dann sollen blutrote Kreuze vom Himmel und auf die Kleider der Leute gefallen sein. Priska hatte davon nichts bemerkt, doch es musste wahr sein, denn sie hatte gehört, dass der Stadtschreiber diese Vorkommnisse in den Annalen vermerkt hatte.
Doch das waren nicht die einzigen Ereignisse gewesen, die in die Annalen eingegangen waren. Im Winter hatten die Fischer, die auf der Pleiße und Elster unterwegs waren, von Begegnungen mit Moorfrauen erzählt, die wie Geister über die sumpfigen Auen geschwebt seien. Auch in den Gassen der Stadt selbst hatten Bürger Dämonen und Kobolde erblickt, und so mancher war zum Henker vor die Tore der Stadt gelaufen, hieß es, und hatte sich eine Salbe aus Menschen- oder Hundefett machen lassen, um die bösen Geister abzuwehren. Die Prediger hatten von den Kanzeln dagegen gewettert, aber die Angst der Leute war zu groß gewesen. Ja, die Waschfrauen erzählten sogar von einem Mann, der einen Gehängten vom Galgen geholt und ihn geküsst haben soll, damit die Lebenskraft, die noch im Fleisch des Toten geblieben war, auf ihn überströme und ihn schütze vor dem Bösen.
Das Jahr davor war noch ärger gewesen. Ein Hochwasser, so schlimm wie schon lange keines mehr, war gekommen und hatte die Auen, Wiesen, Felder und kleinen Gärtchen vor den Stadttoren überschwemmt. Sogar die Gerberstraße, die vor dem Hallischen Tor lag, hatte unter Wasser gestanden.
Die Barfüßer hatten damals ihre neue Klosterkirche noch vor der Fertigstellung eingeweiht, in der Hoffnung, Gottes Zorn zu besänftigen. Sogar der Bischof von Meißen,Thilo von Trotte, war deswegen gekommen, doch ihre Bitten waren nicht erhört worden. Das Hochwasser war zwar zurückgegangen, doch die Brunnen waren vergiftet gewesen. Und als man sich gar nicht mehr zu helfen wusste, hatte man etliche Abdecker auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Zur Erklärung hatte der Probst der Augustiner Chorherren von der Kanzel der Thomaskirche gepredigt und erklärt, dass das Böse im Armenhaus wohne. Die Armen neideten den Reichen das sorglose Leben und taten alles, um Übel in die Welt zu bringen. So einfach sah es der Stiftsherr, so einfach sahen es die Reichen, so einfach sah es das Gericht.
Nur für Priska war die Sache nicht so einfach. Sie war als Tochter des Henkers geboren, in großer Armut aufgewachsen. Glaubte man den Predigern, so musste sie schlecht bis in die Knochen gewesen sein. Dann war die Meisterin gekommen und hatte sie dort weggeholt. Nun war sie ein Lehrmädchen in einer Silberschmiede, wohnte innerhalb der Stadtmauern. Doch besser geworden war sie dadurch nicht. Nur in
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