Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)
waren die Prophezeiungen Marvin Minskys: 1970 behauptete er, dass es in drei bis acht Jahren – jedenfalls hierin irrte er – Maschinen mit der durchschnittlichen Intelligenz eines Menschen geben werde, die Shakespeare lesen und Autos warten würden. Und noch abenteuerlicher war die grenzenlose Erwartungshaltung des Roboterspezialisten Hans Moravec von der Carnegie Mellon University: Mit Marvin Minsky teilte er die Überzeugung, dass mit der „künstlichen Intelligenz“ der ultimative Traum der Menschheit wahr werden würde, die Überwindung des Todes: Im Buch „Mind Children. Der Wettlauf zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz“ entwarf er ein Szenario der Evolution des „postbiologischen“ Lebens: Ein Roboter überträgt das im menschlichen Gehirn gespeicherte Wissen so in eine Zahlenmaschine, dass die Biomasse des Gehirns überflüssig wird und ein posthumanes Zeitalter beginnen kann, in dem das gespeicherte Wissen beliebig lange zugreifbar bleibt. Die Zahlenmaschine Watson schien bei Jeopardy zu beweisen, dass uns nur mehr wenige kurze Schritte bis hin zur Verwirklichung der Utopien – oder sollte man eher von Horrorszenarien sprechen? – von Minsky und Moravec trennen. Jedenfalls erlitten Jennings und Rutter, zwei Menschen aus Fleisch und Blut, im intellektuellen Wettstreit mit Watson ein Debakel.
Doch in Wahrheit war Watsons fulminanter Auftritt Blendwerk und Gaukelspiel. Niemand anderer als Blaise Pascal, der Konstrukteur der ersten funktionierenden Rechenmaschine, hätte dies besser durchschaut. Mit ihm wollen wir die Geschichte beginnen.
Die „Pascaline“, zur Unzeit konstruiert
Es waren die elenden Beschwernisse des elementaren Rechnens, bei denen lange Kolonnen von Zahlen zu addieren sind, die Blaise Pascal zu einer brillanten Erfindung veranlassten, deren gesellschaftliche Sprengkraft allerdings weder von seinen Zeitgenossen noch von deren Kindern oder Kindeskindern erkannt wurde. Erst 300 Jahre später leitete sie ein neues Zeitalter der Menschheit ein.
Blaise Pascals Vater Étienne war ein angesehener hoher Finanzbeamter im von Kardinal Richelieu, Ludwig XIII. und danach dem noch blutjungen Ludwig XIV. regierten Frankreich des 17. Jahrhunderts. Einem Land, in dem Bauern, Handwerker und Gewerbetreibende schuften mussten, damit es den wohlhabenden Bürgern, dem Klerus und der adeligen Gesellschaft an nichts fehlte, die Reichen in Saus und Braus ihre Tage und Nächte mit süßem Nichtstun verbringen konnten. Doch der Staat, der in letzter Instanz der König selbst war, brauchte Geld. Wo er nur konnte, presste er es der Bevölkerung ab. Nur der Klerus und der Adel waren von der Steuerlast befreit.
Étienne Pascal war bestrebt, das Geld von den Steuerpflichtigen möglichst gerecht eintreiben zu lassen. Er bemühte sich, die von den ihm untergebenen Beamten erhobenen Summen auf den Sol genau zu prüfen. Und dafür waren schier unzählige nervtötende Additionen und Subtraktionen vonnöten.
Étienne Pascals Sohn Blaise galt bereits in jungen Jahren als mathematisches Wunderkind. Der gebildete Vater lehrte seinen Sohn im Privatunterricht alle Sprachen, das gesamte Wissen seiner Zeit. Wie später Mozart, den ebenfalls sein Vater unterrichtete, hatte Pascal das Glück, nie eine Schule besuchen zu müssen. Allerdings verschob der gewissenhafte Vater den Mathematikunterricht für den kleinen Buben auf später, wenn dieser der Ansicht des Vaters nach dafür reif genug sei. Mit dem Erfolg, dass sich das geniale Kind die Mathematik selbst beibrachte. Schon mit vierzehn Jahren, so berichtet seine ebenso begabte ältere Schwester Jacqueline, habe er sich alle Lehrsätze des Geometriebuches von Euklid erarbeitet. Ja, er gewann Erkenntnisse, die völlig neu und unerhört beeindruckend waren und noch heute nach ihm benannt sind.
Blaise Pascal, der seit frühester Jugend unter ständig wiederkehrenden peinigenden Kopfschmerzen litt, behauptete einmal, dass einzig die Beschäftigung mit Mathematik ihn von den Qualen erlöse. Allein diese Bemerkung zeichnet ihn als besonderen Menschen aus, denn für Normalsterbliche hat die Mathematik den üblen Ruf, gerade das Gegenteil zu bewirken. Eine Nachrede, die – wie zumindest hoffentlich die Leserinnen und Leser dieses Buches bestätigen werden – zu Unrecht Verbreitung findet.
Ödes Rechnen hingegen kann bei niemandem, nicht einmal bei Blaise Pascal, von Schmerzen erlösen, gar Entzücken hervorrufen. Es ist einfach nur lästig. Diese
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