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Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Titel: Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolf Taschner
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Oskar Morgenstern, der ihn manchmal besuchen durfte, erzählte, dass er einmal in Gödels Haus umherirrte, ohne auf ihn zu stoßen. Erst als er in den Keller ging, fand er Gödel zitternd in mehrere Mäntel gehüllt hinter dem Heizkessel verborgen. Gespenster der verstorben Geglaubten, so mutmaßte Gödel, schwirrten im Hause umher.
    Noch viel mehr Wundersames wäre über Gödel zu erzählen, der am 14. Januar 1978 verhungerte, weil er aus Angst, vergiftet zu werden, jede Nahrungsaufnahme verweigerte. Daniel Kehlmann, der schon in der „Vermessung der Welt“ ein phantasievolles Bild von Carl Friedrich Gauß entworfen hatte, porträtierte Gödel und seine Welten wunderbar in dem Drama „Geister in Princeton“. All jenen, die mehr über Gödel erfahren wollen, sei es ans Herz gelegt.
    Kein Wunder, dass die anderen Mathematiker des Institute for Advanced Study lange Zeit davor zurückschreckten, Gödel zum Professor zu ernennen. Nicht weil sie sein Werk nicht schätzten, dies taten sie sehr wohl, allen voran der 1933 von Göttingen nach Princeton ausgewanderte Hermann Weyl. Sondern weil sie die Eigenarten Gödels verstörten. „Es genügt“, sagte der ebenfalls aus Protest gegen die Nationalsozialisten aus Deutschland emigrierte Zahlentheoretiker Carl Ludwig Siegel, „dass ein Spinner als Professor für Mathematik in Princeton zugelassen ist. Zwei wären aber zu viel.“ Mit dem „einen Spinner“ meinte Siegel sich selbst.

Die Ortung der Unendlichkeit
    Man darf vermuten: Die Wahnideen Gödels haben damit zu tun, dass er sich in die Existenz von Welten verstieg, an deren Existenz er deshalb glaubte, weil er von deren Widerspruchsfreiheit überzeugt war. Doch in Wahrheit gibt es diese Welten nicht. Nicht eine einzige Welt existiert, in der das Unendliche als logisch fassbarer Begriff vorliegt, sei es auch vorgeblich mit Axiomen gezähmt.
    Die Allmacht der formalen und durch willkürliche Axiome abgesicherten Mathematik ist bloß eine Allmacht über Phantasmagorien.
    Vor die Alternative gestellt, Mathematik entweder im Sinne Poincarés zu betreiben und mit einer Wirklichkeit leben zu müssen, in der viele Fragen, seien sie unerheblich oder auch nicht, für immer offen bleiben, oder aber im Sinne eines auf leeren Axiomen fußenden Spiels, das die Illusion von Allmacht verleiht, hat sich die überwältigende Mehrheit in der mathematischen Gilde für den zweiten Weg entschieden. Gegen die Wirklichkeit. Denn, so formulierte es Hilbert, „aus dem Paradies, das Cantor uns geschaffen, soll uns niemand vertreiben können“. Selbst dann nicht, wenn dieses Paradies ein Spukschloss voll Gespenstern ist.
    Eine im folgenden Sinn höchst eigen- und auch einzigartige Wahl: Stellen wir uns vor, es gelänge, zu außerirdischen Intelligenzen, die möglicherweise in den Tiefen des Universums auf fernen Planetensystemen leben, einen Funkkontakt herzustellen. Offenkundig kann die Kommunikation zwischen „uns“ und „ihnen“ nur über die Mathematik erfolgen. Denn diese und nur diese wird überall im Kosmos die gleiche sein. Unter dieser Annahme gilt die Wette. 38 Wenn die Außerirdischen eine mindestens so hohe Mathematik wie wir entwickelt haben, dann haben diese Außerirdischen einen Blick auf das Unendliche gewonnen, der den intuitiven Vorstellungen Poincarés und nicht den logischen Abstraktionen Hilberts entspricht.
    Auf den rechten Blick auf das Unendliche kommt es an: Wer Mathematik im Sinne Poincarés betreibt, wer im mathematischen Denken der Intuition, der Einsicht, dem ungetrübten Blick in das Wesen der Dinge Vorrang gegenüber der Logik gibt, muss davon ausgehen, dass es einfach nirgends in der Welt Unendliches gibt. Nicht in Hotels und nicht in Bussen. Nicht an Haltestellen und nicht an Garderoben.
    Auch nicht im gigantischen Weltall. Denn dieses hat einen endlich großen Ereignishorizont, hinter den kein Signal zu schauen vermag und dessen Jenseits uns für alle Zeiten verborgen bleiben wird. Es ist schlicht sinnlos, von der Existenz einer Welt hinter diesem Horizont zu räsonieren. Auch nicht im winzig Kleinen. Denn die Gesetze der Quantenphysik stehen der Idee der Zergliederung einer Linie in unendlich viele Punkte entgegen. Selbst der Computer kennt nichts Unendliches, nicht einmal das Internet. Jede Computerprozedur bricht einmal nach endlich vielen Schritten ab. Selbst wenn sie in eine Schleife gerät: Irgendwann wird der Strom abgeschaltet. Das Gerät besitzt nur endlich viele Felder von Zahlen, der

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