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Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Titel: Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolf Taschner
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logisch inkonsistenten Diagnosen war ohnehin nie zu trauen. Egal wie heiß es war, stets war er bedacht, warm angezogen zu sein, denn die Gefahr eines plötzlichen Fiebers schwebte wie ein Damoklesschwert über ihm. Hinzu kamen Psychosen und Depressionen. Den ersten Nervenzusammenbruch löste die Ermordung des von Gödel verehrten Professors Moritz Schlick mitten im Hauptgebäude der Universität aus. Nirgends, so schloss Gödel, konnte man seines Daseins sicher sein.
    Dann aber wieder erstaunt, wie weitsichtig Gödel die einzig richtige Entscheidung seines Lebens zu treffen vermochte, die Wahl seiner zukünftigen Frau: Seine Eltern waren entsetzt. Gödel verliebte sich in Adele Porkert, eine Garderobiere eines verrufenen Nachtklubs, eine um fast sieben Jahre ältere Frau aus bescheidenen Verhältnissen, dazu noch geschieden. Erst nach dem Tod des Vaters setzte Gödel bei seiner entsetzten Mutter durch, Adele heiraten zu dürfen. Wie recht er mit seiner Entscheidung hatte: Adele rettete ihren lebensuntüchtigen „Kurtsi“ mehrfach vor drohender Gefahr. Zum Beispiel als nach Hitlers Einmarsch in Wien rotzige SA-Männer ihren Mann als Juden anpöbelten und sie, ihren Regenschirm schwingend, die unverschämte Horde in die Flucht trieb. Für sie und ihren Mann war klar: Sie durften nicht länger in Wien bleiben. Gödel war kein Jude, er war als kriegsverwendungstauglich eingestuft worden. Seine Einberufung zur Wehrmacht wäre der sichere Tod des schmächtigen und ungelenken Männleins gewesen. Mit einer Einladung des bereits im Institute for Advanced Study in Princeton residierenden John von Neumann nach Amerika in den Händen, konnte Adele ihren Kurt davor bewahren. Da ihnen aber durch den Krieg der direkte Weg in den Westen verwehrt war, musste Adele ihren Mann zur Reise in die Sowjetunion, mit der Transsibirischen Eisenbahn bis hin zur Pazifikküste Asiens, über den Ozean nach Kalifornien und von dort über den amerikanischen Kontinent bis nach Princeton Schritt um Schritt überreden. Als sie endlich an der amerikanischen Ostküste angekommen waren, steigerte sich die Hypochondrie Gödels ins Unermessliche: Er ängstigte sich, vergiftet zu werden. Seine Frau musste alle Speisen vor seinen Augen zubereiten und mit dem Besteck, das er danach verwenden sollte, kosten.
    Princeton war für Adele Gödel, die zu intellektuellen Kreisen keinen Zugang fand, ein Alptraum. Nur die Sorge um ihren Mann gab ihrem Leben einen Sinn. Dieser aber schottete sich von fast allen seinen Kollegen ab. In seiner Kammer, zu der niemand Zutritt erhielt, erforschte er die mathematischen Welten und beantwortete er die Briefe, die an ihn gerichtet waren. Wobei er die Antwortschreiben nie abschickte, sondern auf seinem Schreibtisch stapelte. Sie waren vorhanden, sie existierten – das musste genügen.
    Allein zu Albert Einstein fand er Zugang, ja die beiden Gelehrten befreundeten sich, und ihre gegenseitige Zuneigung hielt bis zu Einsteins Tod 1955 an. Worüber sie sich während ihrer Spaziergänge unterhielten, weiß man nicht. Bestimmt freute sich Einstein darüber, in Gödel jemanden gefunden zu haben, der an eine vom beobachtenden Subjekt unabhängige Außenwelt glaubte, ja sogar an eine Außenwelt, die in vielfachen Variationen denkmöglich und daher auch in all dieser Mannigfaltigkeit verwirklicht ist. Umgekehrt dürfte Einstein, so vermutete der Physiker John Archibald Wheeler, seinen Freund Gödel davon abgehalten haben, sich mit der Quantentheorie zu beschäftigen. In ihr, so argwöhnte Einstein bis zu seinem Tod, seien immer noch Widersprüche verborgen – für Gödel Grund genug, die Finger davon zu lassen. Man kann sich die Szene lebhaft ausmalen: Die naiv besorgte Adele Gödel verpackt ihren eigenbrötlerischen Mann in mehrere Schichten von Mänteln, führt ihn zur Tür und sagt zu ihm: „Kurtsi, jetzt musst du nur noch den Weg bis zur Kreuzung nach oben gehen, dort wartet schon der Albert auf dich.“
    Die Erkenntnis, dass aufgrund der Allgemeinen Relativitätstheorie Zeitreisen nicht nur in die Zukunft, sondern auch in die Vergangenheit nicht ausgeschlossen sind, war eine Frucht der langen Gespräche zwischen Einstein und Gödel. Für den kauzigen Logiker nur ein weiterer Hinweis dafür, dass es Aristoteles und Leibniz noch immer genauso „gibt“, wie er weiß, dass es im fernen Europa Wien „gibt“ –Aristoteles und Leibniz sind „da“. Sie sind da als Gespenster.
    Nach Einsteins Tod wurde Gödel noch wunderlicher.

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