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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Prolog
    N icht lange nach Maria Lichtmeß im Jahre des Herrn 1362 – ich notierte gerade die Kosten für Pökelfisch und Mehl und fand sie zu hoch – raunte eine Stimme in meinem Ohr. »Margaret«, hörte ich, »meinst du, ICH hätte mich dafür verwendet, daß du Lesen und Schreiben lernen konntest, damit du diese Künste dann auf die Buchführung verschwendest? Wäre es nicht viel besser, du würdest MEINE herrlichen Werke aufzeichnen?«
    »Aber, Herr«, antwortete ich, »DU hast den Eheweibern geboten, ihren Männern zu dienen, und mein Herr Gemahl liebt es gar nicht, Haushaltsbücher zu führen.«
    »Margaret, woher willst du wissen, ob du ihm nicht besser dienst, wenn du für die Buchhaltung einen Schreiber anstellst?«
    »Ganztägig? Herr, bedenke die Ausgabe. Und angenommen, er ist ein Spitzbube?«
    »Dein Verwalter kann ihm erklären, was er aufschreiben soll, und das überprüfst du einmal im Monat. So macht es Master Wengrave von gegenüber, und die Regelung sagt ihm ungemein zu.«
    »Aber, Herr, DU weißt doch, was passiert ist, als ich das letztemal jemanden eingestellt habe, der für mich schreiben sollte.«
    »Warum läßt du MICH die Dinge nicht gelegentlich auf MEINE Art ordnen, Margaret?«
    Und wer bin ich sündiges Menschenwesen, daß ich Unserem Herrn nicht gehorchen würde, der so hoch erhaben ist über alles – sogar über Ehegatten und andere Männer? Also stöpselte ich das Tintenfaß zu, legte den Federkiel beiseite und blickte aus dem Söllerfenster. Eisiger Februarregen prasselte gegen die Scheiben und die hohen, bunt bemalten Häuser der Kaufleute und Weinhändler auf der anderen Straßenseite, die so viele gewölbte Butzenscheiben hatten, daß sie ganz knubbelig aussahen. Es ist schön, reich zu sein und Glas vor den Fenstern zu haben, dachte ich und sah zwei vermummten Fuhrknechten zu: Sie zogen einen hoch mit Holz beladenen Rollwagen auf den Hof des Steinhauses von Master Barton, dem Spezereienhändler von gegenüber. Einstmals, als ich mir mein täglich Brot noch selbst verdiente, hätte ich auch versucht, mich vor den Eisnadeln zu schützen. Hier jedoch verbannte ein Kohlebecken voller Glut die Kälte, und bunte Wandbehänge trotzten dem Grau vor den Fenstern. Auf der Diele hörte ich Getrampel und Gepolter: Man stellte die Schragentische zum Essen auf, und ein Geruch nach Sauerkohl und Pökelfisch schlich sich durch die Türritzen an wie eine Katze auf Mäusejagd. Dann klopfte es an der Tür, nicht laut, aber beharrlich; und danach ein besorgter Aufschrei.
    »Mama, Mama, komm schnell. Vater hat wieder einen Anfall. Er sagt, er reißt aus und geht ins Kloster, damit er endlich in aller Ruhe über seine Sünden nachdenken kann.«
    »Alison!« sagte ich und rannte schon zur Tür, »was hast du angestellt, daß er wieder damit anfangt? Du weißt doch, er muß dieser Tage schrecklich hart arbeiten. Nächsten Monat reist er nach Kenilworth, und dann muß das Vorzeigeexemplar fertig sein.«
    »Ich, gar nichts, Mama«, sagte Alison, die mit Unschuldsmiene in der Tür stand. »Das war Caesar, er hat Vaters Federkasten gefressen.«
    »Habe ich dir nicht gesagt, daß der Welpe auf gar keinen Fall in sein Studierzimmer darf«, schimpfte ich und eilte vor Alison die schmale Treppe hinunter.
    »Margaret«, stöhnte mein Herr Gemahl, der hilflos inmitten von tapsigen Hündchen und Kindern stand. »Es ist nicht auszuhalten. Unternimm etwas!« In seinem Studierzimmer ging es drunter und drüber, das Stroh auf dem Fußboden war zu einem Haufen zusammengeschoben, als hätte jemand darin gegraben, die eisenbeschlagenen Truhen standen offen, so daß man in munterem Durcheinander Manuskripte und Bücher sehen konnte, die an verschiedenen wichtigen Stellen mit einem Halm als Lesezeichen markiert waren. Auf der Metallkiste mit dem Doppelschloß, die Pachtgelder und den Rest der achtzig burgundischen Goldmoutons enthielt, die er aus Burgund mit nach Hause gebracht hatte, drängten sich Tintenflaschen und Papierstapel. Sein knöchellanger alter Surkot aus Wolle mit dem Schlitz in der Mitte, damit er auch zum Reiten taugte, hatte Tintenflecke, und die Gugel, die er sich gegen die Kälte wie einen Türkenturban um den Kopf geschlungen hatte, war ihm bei der Gedankenwälzerei verwegen auf eine dunkle Braue gerutscht.
    »Hier bringe ich nichts zustande, überhaupt nichts!« rief er, und es gelang ihm, zu gleicher Zeit bemitleidenswert und ungehalten auszusehen. Dennoch war ihm anzumerken, daß er sich insgeheim

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