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Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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der Lebenden hingegen wäre ihr sicher schon nach wenigen dutzend Metern die Luft weg geblieben.
    Sie waren indes kaum fünf Minuten gelaufen, als der Weg zwischen den hohen Grasfeldern eine sanfte Kurve nach links beschrieb und auf eine Senke zulief, in der Eleanor schon von weitem eine Gruppe kleiner Häuser ausmachen konnte, die tief geduckt und eng beieinanderstehend errichtet worden waren. Nathaniel und Joanne verringerten bei diesem Anblick ihr Tempo jedoch nicht, sondern rannten unvermindert weiter, bis sie schließlich auf einem winzigen Platz inmitten der Häuser zum Stehen kamen. Auch Eleanor stoppte hier und sah sich neugierig um.
    Rauch stieg aus den kleinen Schornsteinen oberhalb der reetgedeckten Dächer. Die Häuser waren klein, kaum mehr als winzige Bauernkaten, die sich eng aneinandergeschmiegt in die Landschaft der nebligen Wiesen duckten. Wer nicht wusste, dass hier in dieser Graslandschaft ein kleines Dorf stand, hätte es im Dunkeln leicht verfehlen können und doch waren es immerhin rund fünfzehn Hütten, die sich hier inmitten des wogenden Grasmeeres eng zusammenkauerten und ihre Bewohner schützten.
    Nathaniel und Joanne sahen sich stolz um, so als sei ihr Dorf eine Großstadt, die es de m tumben Bewohner vom Lande zu zeigen galt.
    „Wie gefällt es dir?“, fragte Joanne an Eleanors Seite. Vertrauensvoll legte sie ihre kleine Hand in Eleanors und blickte lächelnd zu ihr hoch.
    „Ihr… ihr lebt hier?“, fragte Eleanor.
    Nathaniel nickte. „Schon immer. Unsere Familien haben seit Jahrhunderten hier gewohnt.“
    Wieder sah Eleanor sich irritiert um. Dieses Dorf glich nichts, was sie schon einmal gesehen hatte. Von Architektur konnte man bei den Hütten eigentlich kaum sprechen. Die Wände waren krumm, teilweise unterschiedlich hoch und die Reetdächer zwar fachgerecht gebunden, doch ebenso schief und asymmetrisch, wie die Hauswände. Keines der Häuser besaß Fenster. Eleanor sah auch nirgendwo Spuren der Neuzeit. Kein Auto, keine Strommasten, keine moderne Straßenbeleuchtung oder gar ein Ortsschild. Dieses Dorf gehörte keinesfalls in ihre Zeit. Es wirkte wie ein Überbleibsel aus einem vergangenen Zeitalter, ein Relikt, das es eigentlich nicht hätte geben dürfen.
    Die Ankunft der drei war indes nicht unbemerkt geblieben. Aus einigen der Haustüren blickten Gesichter in ihre Richtung. Dann kamen ihnen aus mehreren Richtungen Menschen entgegen, die trotz ihres Misstrauens und der Furcht den Schutz ihres Heimes verließen und den Neuankömmling von Nahem sehen wollte. Schließlich standen rund dreißig Personen um Eleanor, Nathaniel und Joanne. Keine von ihnen sagte ein Wort, doch ihre argwöhnischen Blicke machten mehr als deutlich, dass sie Fremde hier nicht allzu oft zu sehen bekamen und mit dieser Situation nicht umzugehen wussten.
    Unter ihnen gab es sowohl Männer als auch Frauen, selbst einige Kinder versteckten sich hinter den Rockzipfeln ihrer Mütter. Sie alle trugen ärmliche Kleidung, ihre Gesichter waren schmutzig und hohlwangig. Sie wirkten kränklich und bar jeder Hoffnung. Nie zuvor hatte Eleanor so viele Menschen gesehen, denen jeder Lebenswille und jedes gute Gefühl zu fehlen schienen. Allein die Kinder trugen noch ein wenig Lebensfreude in sich. Sie allein waren es, die diesem Ort zumindest ein klein wenig von der Trostlosigkeit nahmen, die er ausstrahlte.
    „Nathaniel. Joanne. Kommt zu mir!“, sagte einer der Männer leise.
    Sofort setzten die beiden Kinder sich in Bewegung und liefen auf den Mann, einen dürren, bärtigen Kerl mit langen Armen zu, der sie sogleich in seine Arme schloss und sanft an sich drückte.
    „Ihr dürft doch nicht weglaufen“, schalt er sie besorgt. „Ich will doch nicht, dass euch etwas geschieht!“
    Joanne sah beschämt zu Boden doch Nathaniel erwiderte den Blick seines Vaters fest und antwortete: „Wir waren nicht weit weg. Wir sind nicht zwischen die Bäume gegangen, wie du gesagt hast. Und diese Frau dort tut uns nichts. Sie ist nicht böse!“
    Der Mann blickte von seinem Sohn auf und fixierte Eleanor. Seine großen, viel zu tief im Gesicht liegenden Augen musterten sie genau.
    „Wer bist du und was willst du von uns?“, bellte er schließlich. Fast sofort senkte er für eine Sekunde beschämt den Blick. Offensichtlich hatte er nicht so unfreundlich klingen wollen, doch sein Misstrauen und seine Angst hatten ihn härter klingen lassen, als er es beabsichtigt hatte.
    „Mein Name ist Eleanor“, erwiderte Eleanor schließlich.

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