Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
Vom Netzwerk:
empfand sie Abscheu und Furcht. Sie konnte nicht verstehen, warum Maramir und Leinocka nicht ebenso dachten. Sie waren jung. Glaubten sie, Geborgenheit und Schutz in der Kraft eines Mannes zu finden? - So viel mußten sie noch lernen! - Kar wurde bewußt, welche große Verantwortung auf ihr lastete. Sie vermißte den Schutz und die Geborgenheit ihres Stammes und fing, der Verzweiflung nahe, beinahe an zu weinen. Würde sie stark genug sein? Stark genug, um Maramir und Leinocka zu führen? - Sie wischte sich die aufsteigenden Tränen aus den Augen und versuchte, die Trauer für einen Moment zu vergessen, als sie zum Himmel aufsah. Der Himmel zog sich zu. Die Luft roch nach neuem Schnee. Die angsteinflößenden und zugleich hoffnungsverheißenden Rufe der Ahnen durchdrangen schließlich die Dämmerung. Kar fühlte sich gewarnt.
     
    Eine weitere mondlose Nacht brach herein. Der Schnee glänzte im Schein des Feuers, und Kar sah in die Flammen, die vor ihren Füßen züngelten.
    In das Flackern des Feuers vertieft, in den Ohren nur das Knacken des Holzes, das vom Feuer wimmernd verzehrt wurde, hing Kar sorgenschweren Gedanken nach. Eine quälende Erinnerung jagte die nächste. Schattenhafte Erscheinungen brachen hervor und vermischten sich mit ihren Gedanken, so daß alles zu einem flackernden Bild verschmolz. Sie bemerkte dabei weder, daß Schnee allmählich ihr Haupt bedeckte, noch daß Tränen über ihre Wangen liefen.
    „Ihr Ahnen, was wollt ihr mir sagen?“ ...
    Maramir, die jene gedankenvertiefte Abwesenheit ihrer Schwester bemerkt und deren absonderlichen Zustand beobachtet hatte, zog nun das Fell, das ihren Körper einhüllte, enger an sich. Kars Worte klangen fern und bedrohlich.
    „ ... Mutter ... Ihr Ahnen! - Helft mir! Wir brauchen eueren Schutz ...“ Mit heiserer Stimme preßte sie die Worte über ihre Lippen. „Grauer Wolf! Deine Augen verraten keine Freude. Was wird geschehen?“ ... „Der Wolf kann sich nicht mit dem Bär verbünden!“ ... „Der Bär ist stark, ja – aber der Bär lebt nicht wie der Wolf!“ ... „Nein! Der Wolf will nicht mit dem Bär leben, - er wird mit ihm kämpfen!“ ...
    Kars Stimme verstummte. Es blieben das Feuer und die Dunkelheit. Maramir wagte kaum noch zu atmen, zitternd umklammerte sie ihre angewinkelten Beine und achtete auf jede Regung und jeden Ausdruck in Kars ernstem, besorgtem Gesicht. - Als sie schließlich glaubte, daß die Augen ihrer Schwester nichts weiter sahen als das Feuer, vor dem sie saß und ihr Gesicht wieder etwas weichere Züge annahm, wagte sie zu sprechen.
    „Du hast Grauer Wolf gesehen! - Er hat zu dir gesprochen! - Ist es so?“
    Kar drehte den Kopf zu ihrer Schwester und sprach mit brüchiger Stimme: „Er hat gesagt: Der Wolf wird mit dem Bär leben, solange der Wolf schwach ist. Er wird leben wie der Bär – doch der Wolf bleibt ein Wolf!“
    Maramir schwieg, wiederholte jedes Wort in Gedanken. Aufkommender Wind trieb ihr plötzlich Rauch in die Augen, und als sie sich vom Feuer abwendete, sah sie im Schnee die Silhouetten tierischer Gestalten, deren Augen im Feuerschein aufleuchteten. Noch bevor sie einen Laut herausbrachte, spürte sie schon Kars festen Griff an ihrer Schulter.
    „Mähnenwölfe!“
    Hastig entzündeten sie Fackeln und schauten sich nach allen Richtungen um.
    „Auf den Baum! - Schnell, Kar!“, flehte Maramir. In ihrer Vorstellung sah sie schon ihr Blut fließen, sah, wie die Hyänen ihr das Fleisch aus dem Körper rissen, während ihr Herz noch schlug.
    Kar zögerte. „Es sind nur zwei!“, flüsterte sie und legte den Speer beiseite. Mit wildem Geschrei warf sie ein paar handliche Hölzer nach ihnen. Furcht vibrierte in ihrer Stimme und trieb die Töne so in die Höhe, daß Kar letztendlich nur noch kreischte.
    „Sie weichen zurück! Sie weichen zurück!“, sprudelte es aus Maramir heraus.
    „Ja, geht! Geht, woher ihr gekommen seid! Bleibt im Schatten der Dunkelheit, aber laßt uns in Ruhe!“, rief Kar ihnen stolz zu.
    „Sei still! Reize sie nicht!“, beschwor Maramir ihre Schwester. - Und tatsächlich: Die Hyänen trotteten davon. Kar atmete hörbar auf. Maramir zitterte noch immer am ganzen Körper. Die beiden ausgewachsenen Tiere reichten ihr sicher bis über die Brust. Jeder aus ihrem Stamm kannte Geschichten, die davon erzählten, wie Mähnenwölfe mit einem einzigen Biß einem Menschen den Arm, ja sogar das Bein durchtrennen konnten.
    Obwohl die Gefahr vorüber zu sein schien, blieb Maramir besorgt.

Weitere Kostenlose Bücher