Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
Vom Netzwerk:
vorbei.
    Nun sah sie, daß das Spitzgesicht insgesamt drei Wölfe getötet hatte. Er blutete aus verschiedenen Wunden, aber es schien ihm nichts auszumachen. Kar hingegen schrie, stöhnte und wimmerte schließlich nur noch. Ihre Wade war zerfetzt, an der Schulter leuchtete das Weiß eines Knochens hervor. Eine tiefe Wunde klaffte am Unterarm. In ihrer verkrampften Hand hielt sie noch immer die längst erloschene Fackel. Verzweifelt machte sich Maramir daran, ihre Verletzungen freizulegen, während Kar dabei zitterte und schrie. Leinocka half, die Wunden mit Schnee auszuwaschen. Gemeinsam flickten sie mit den Fingern die Hautlappen zusammen und verbanden die Stellen schließlich mit Fell und Riemen, um die Blutung zu stoppen. Währenddessen schleppte das Spitzgesicht zwei der toten Wölfe vom Lager weg. Ein weiteres Tier zerlegte er am Feuer.
    Aus der Dunkelheit tauchten bald, angelockt von Kampfgeschrei und Blutgeruch, die Hyänen auf, vertrieben die Wölfe von den Kadavern und machten sich über die Beute her. Die hungrigen Wölfe mussten zusehen, wie die viel größeren Hyänen fraßen. - Abschätzend beobachtete das Spitzgesicht das Geschehen, während Kar unentwegt redete. Sie entschuldigte sich immer wieder bei Maramir und Leinocka, sprach mit den Toten, als wären diese leibhaftig anwesend, faselte schließlich irgendetwas von bösen Ahnen, seltsamen Träumen und einer bevorstehenden Reise ins Totenreich. Immer wirrer und träger wurden ihre Worte. Maramirs Gedanken sprangen wild durcheinander. Dennoch sammelte sie sich, bemüht, ihrer Schwester nach Kräften zu helfen. - Allmählich schlief Kar in ihren Armen ein.
    Warum nur wollten die Ahnen sie töten? - Maramir biß sich fest auf die Unterlippe. Sie schmeckte ihr eigenes Blut. Die Ahnen hätten sie alle getötet, ohne Ausnahme! Es schien so, als hätten die Großen Mächte sie zum Sterben verurteilt. Maramir suchte zwanghaft nach Erklärungen ... Immer wieder diese schmerzvollen Verluste. Die Menschen um sie herum, Menschen, die zu ihr gehörten, starben, gingen von ihr wie Schnee, der in den Händen schmilzt und durch die Finger rinnt. - Wollen die Ahnen es so? - Mußte sie von nun an die Totengeister fürchten? Oder wohnten in diesen Wölfen böse Seelen? - Die Seelen von Verstoßenen, oder Seelen von Kindern geraubter Frauen, die man schlecht behandelt hatte? Waren es vielleicht Geister jener, die einst durch die eigene Sippe getötet worden waren? - Es wäre verständlich, wenn ihre erzürnten Seelen nach Rache dürsteten. Die Geschichten der Alten berichteten von solchen bösartigen Ahnen. Maramir dachte an die vielen Generationen, an die vielen verschiedenen Menschen und ihre Schicksale. Doch was am Ende blieb, war die Tatsache, daß die Geister der Ahnen Kar nicht beschützt hatten. - Obwohl sie und ihre Schwester die Letzten ihres Stammes waren.
     
    Der Tag dämmerte, es war bereits so hell, daß man eine kommende Gefahr schon aus der Entfernung sehen konnte. Doch auch das fahle Licht des Großen Himmelsfeuers spendete Maramir keinen Trost.
    Kar hatte im Schlaf gestöhnt. Jetzt, nachdem sie erwacht war, jammerte sie leise vor sich hin. Ihre blutunterlaufenen Augen wirkten matt, ihr Atem roch schlecht und sie fröstelte.
    Im Schnee sah man Blut und unzählige Spuren kleiner Tiere, die vom Geruch der Kadaver angezogen worden waren. Maramir erhob sich. Sie beschloß, Holz und etwas Eßbares zu suchen, dazu vielleicht etwas von der Rinde der weißen Bäume, welche gut ist für die Heilung von Wunden, und auch die Rinde der Fellknospenbäume, die man kauen muß, um die Schmerzen zu lindern. Sie band sich lederne Säckchen an ihren Hüftriemen, trug Leinocka auf, Kar mit gebratenem Wolfsfleisch zu füttern und zog bewaffnet mit einem Speer und zwei Messern los. Sie schlug die Richtung des Großen Himmelsfeuers ein, aus der weder Wölfe noch Hyänen gekommen waren.
    Der Schnee glitzerte im Licht der Sonne. Maramir spürte, wie die Luft sich langsam erwärmte. Sie dachte an die Zeit der knospenden Bäume, die Zeit, in der die Luft frisch und angenehm roch. Maramir sehnte sich nach dem Duft von Kräutern und Blüten. Den Geruch von Blut, menschlichen Leibern, Rauch und verkohlten Knochen hatte sie satt. Bei dem Gedanken daran empfand sie Ekel. Maramir wünschte sich den Schnee fort, der sie blendete. Unentwegt mußte sie ihre Augen zukneifen. Sie zog ihren Fellumhang über den Kopf bis weit ins Gesicht hinein. Ihr Blickfeld war so eingeschränkt, daß sie

Weitere Kostenlose Bücher