Die Zeit der Hundert Königreiche - 4
eine nicht, das dieser Welt für ihn Wert verlieh. Wenn er mit Melisandra falsches Spiel trieb, hätte sie keinen Grund, ihn nicht bloßzustellen. Und außerdem mußte er Bard ähnlicher sein, als er selbst geglaubt hatte. Er hielt es für langweilig, ein Königreich zu regieren. Ungleich Bard fand er keinen Geschmack am Krieg um seiner selbst willen, wenn er auch Bards Begabung für den Krieg zu teilen schien. Für Paul war der Krieg nur ein Vorspiel zu den Maßnahmen, die die Dinge wieder in Ordnung brachten, und ihm schien es tödliche Langeweile zu bedeuten, ein in Ordnung gebrachtes Königreich zu regieren. Was wollte er aber dann? Seltsamerweise hatte er nie darüber. nachgedacht, und ebensowenig war es Bard in seiner Überzeugung, daß Paul als sein Double die gleichen Ziele wie er hatte, eingefallen, ihn danach zu fragen.
Also, dachte Paul, wenn ich frei wäre, würde ich gern Melisandra mitnehmen und irgendwohin eine Forschungsreise machen. Hier gibt es eine Menge zu sehen. Vielleicht könnten wir uns eines Tages ansiedeln und Kinder haben. Und Pferde; ich liebe Pferde. Ein Ort, wo ich Sinn in den Dingen finden würde, und dann geriete ich auch nicht in Schwierigkeiten der Art, die mich in die Stasis-Zelle gebracht haben. Eine Welt, wo ich nicht ständig gegen unmögliche Vorschriften und Gesetze anrenne.
Es war wirklich eine Schande, daß es nicht auf diese Weise enden konnte. Von ihm aus konnte Bard das verdammte Königreich gern haben, sogar alle hundert. Vielleicht gelang es ihm, Bard zu überzeugen, daß das seine ehrliche Meinung war - zum Teufel, sie konnten einer des anderen Gedanken lesen; Bard würde ihm glauben müssen! Und wenn Bard Carlina hatte, wollte er bestimmt Melisandra nicht mehr. Erlend vielleicht, aber nicht Melisandra.
Nur würde Bard nicht glauben, daß er sich jemals sicher fühlen konnte, solange Paul lebte. Vielleicht sollte er Carlina sofort zu seiner Verbündeten machen. Er hätte nie gedacht, daß er sich soweit herablassen würde, mit einer Frau Freundschaft zu schließen! Frauen waren zu einem bestimmten Zweck, und nur zu diesem Zweck da. Aber so empfand er nicht für Melisandra. Irgendwie war auch sie seine Freundin geworden.
Ein Knistern in den Büschen und Schritte auf dem Weg erinnerten ihn an die Gefahr, in der er sich befand, und er glitt von neuem in den Schatten des Unterholzes. Drei Frauen kamen den Pfad entlang, und Paul, der durch die Zweige lugte, entdeckte, daß eine von ihnen Carlina war.
Sie war blaß und dünn und so klein, daß sie kaum bis an seine Brust gereicht hätte. Ihr Haar war zurückgekämmt und zu einem langen Zopf geflochten. Sie hatte die gleiche ruhige, weltentrückte Haltung wie die anderen Priesterinnen, und ihr formloses Kleid machte sie reizlos. Paul starrte sie aus seinem Versteck entgeistert an. Das … das war Prinzessin Carlina, die Frau, von der Bard so besessen war, daß er an sonst nichts und niemand denken konnte? Und dafür wollte er die reife Schönheit Melisandras aufgeben, die zudem die Mutter seines Sohns war? Melisandra war nicht nur schön, sondern auch klug und geistreich, im Laran ausgebildet und besaß all die Anmut und Würde, um die Zierde eines Hofes und Königin oder zumindest die Lady eines Generals zu werden, und sie hatte an Bards Seite in der Schlacht gekämpft. Paul hatte geglaubt, Bard gut zu kennen, aber jetzt fühlte er sich bis ins Innerste erschüttert, weil die Unterschiede tiefer gingen, als er sich vorgestellt hatte.
Nein, Bard begehrte sie nicht, dachte Paul, während er der sich entfernenden Carlina nachsah. Er konnte sie nicht begehren. Paul wußte doch, was Bard wollte. Er hatte Melisandra gewollt-, bis sie seinen Stolz auf unerträgliche Weise verletzte. Er hatte die rundliche Kleine gewollt, die sie sich nach der Schlacht geteilt hatten. Bard sollte Carlina wollen? Niemals.
Er war besessen von Carlina, und das war etwas anderes. Als ob Bard es ihm erzählt hätte, wußte Paul, daß Bard in Carlina nur König Ardrins Tochter und den Beweis sah, daß er des Königs rechtmäßiger Schwiegersohn war, nicht ein verbannter Gesetzloser, der sich verzweifelt um irgendeine Stellung im Leben, eine Identität bemühte. Ein Grund mehr, dachte Paul, daß ich Carlina sofort zu meiner Verbündeten machen sollte … und doch könnte ich dafür niemals Melisandra aufgeben. Wahnsinn! Melisandra gäbe sogar eine bessere Königin ab. Trotzdem, wenn Bard Carlina hat, wird er mit mir nicht UM Melisandra streiten …
Ich
Weitere Kostenlose Bücher