Die Zeit der hundert Königreiche
Einschlafen. Aber meine Verwandte und ich müssen für ihn sorgen, und deshalb werden wir nicht trinken. Ich danke euch.« Ihre Augen richteten sich auf Bard, der in der Dunkelheit auf der anderen Seite des Feuers saß, und er entdeckte in ihnen eine neue Traurigkeit.
»Ich dachte, er sei nicht schwer verwundet«, meinte Bard.
»Das habe ich auch gedacht«, antwortete Beltran, »aber ich habe gehört, daß die Trockenstädter manchmal Gift der einen oder anderen Art auf ihre Klingen tun. Doch ich habe noch nie von einem gehört, der daran gestorben wäre.« Wieder riß er den Mund weit auf und gähnte.
Die Männer um das Feuer sangen Lied auf Lied. Schließlich brannte das Feuer herunter und wurde zugedeckt, und die Männer wickelten sich in Gruppen von zweien, dreien oder vieren, um sich gegenseitig vor der Kälte zu schützen, in ihre Decken. Bard ging leise zu dem Zelt, das die Frauen sich teilten und in dem jetzt auch der verwundete Laranzu lag.
»Wie geht es Meister Gareth?« fragte er, sich zu dem Eingang niederbückend.
»Die Wunde ist sehr entzündet, aber er schläft«, flüsterte Mirella, die vorn im Zelt kniete. »Ich danke Euch für Eure Nachfrage.«
»Ist Melora drinnen?«
Mirella blickte zu ihm auf. Ihre Augen waren groß und ernst, und Plötzlich wußte er, daß Melora sich ihr anvertraut hatte – oder hatte das jüngere Mädchen Meloras Gedanken gelesen?
»Sie schläft, Sir.« Mirella zögerte, und dann setzte sie hastig hinzu: »Sie hat sich in den Schlaf geweint, Bard.« Ihre Blicke trafen sich voll freundlichen Verständnisses. Sie berührte leicht seine Hand. Bard hatte einen Klumpen in der Kehle.
»Gute Nacht, Mirella.«
»Gute Nacht, mein Freund«, sagte sie leise, und ihm war klar, daß sie das Wort nicht leichtfertig benutzte. Von einer seltsamen Mischung aus Bitterkeit und Wärme erfüllt, ging er an dem ersterbenden Feuer vorbei zu dem Halbzelt, das er mit Beltran teilte. Schweigend zog er sich die Stiefel aus, legte das Schwertgehänge ab und nahm den Dolch von seinem Gürtel.
»Du bist Bredin von einem Trockenstädter geworden, Bard«, sagte Beltran lachend in der Dunkelheit. »Denn du hast mit ihm den Dolch getauscht, den einen für den anderen …«
Bard wog den Dolch in der Hand. »Ich bezweifele, ob ich jemals mit ihm kämpfen werde, denn er ist für meine Hand zu leicht. Aber er ist ein herrliches Schmuckstück, mit Kupfer und Edelsteinen besetzt, und er ist meine rechtmäßige Kriegsbeute. Deshalb werde ich ihn bei festlichen Anlässen tragen und damit den Neid aller erregen.« Er steckte die Waffe unter die Klappe des Zeltes. »Der arme Teufel, er liegt heute nacht kälter als wir.«
Sie streckten sich Seite an Seite aus. Bard war mit seinen Gedanken bei der Frau, die sich auf der anderen Seite des Lagers in den Schlaf geweint hatte. Er hatte genug getrunken, um den Schmerz ein bißchen zu betäuben, aber verschwunden war er nicht.
Beltran sagte in die Dunkelheit hinein: »Ich hatte gar nicht soviel Angst, wie ich vorher dachte. Jetzt, wo es vorbei ist, kommt es mir nicht mehr so schrecklich vor …«
»So ist es immer«, bestätigte Bard. »Hinterher kommt es einem einfach vor – sogar aufregend –, und man will nichts anderes mehr als etwas zu trinken oder eine Frau oder beides …«
»Ich nicht«, erklärte Beltran. »Ich glaube, in dieser Situation würde eine Frau mich bloß anekeln. Ich würde lieber mit meinen Kameraden trinken. Was haben Frauen mit dem Krieg zu tun?«
»Ach ja, du bist noch sehr jung«, sagte Bard liebevoll, und seine Hand schloß sich über der seines Pflegebruders. Ein Gedanke hing in der Luft, von dem er nicht wußte, ob er von ihm oder von Beltran stammte: Ich wünschte, Geremy wäre bei uns … Fast schon im Schlaf fielen ihm die Nächte ein, wenn sie alle drei so wie jetzt zusammen geschlafen hatten, bei Jagdausflügen, auf der Feuerwache unsichere, kindische Experimente im Dunkeln – angenehme, freundliche Erinnerungen, die seinen Schmerz über Melora besänftigten. Er hatte treue Freunde und Kameraden, Pflegebrüder, die ihn liebten.
Halb im Traum fühlte er, daß sich Beltrans Körper gegen seinen drückte. Der Junge flüsterte: »Ich möchte … ich möchte mich dir angeloben, Pflegebruder. Sollen auch wir die Messer austauschen?«
Der Schock machte Bard wieder ganz wach. Er starrte Beltran an und brach in Gelächter aus.
»Bei der Göttin!« rief er grob. »Du bist noch jünger, als ich dachte, Beltran! Hältst du mich
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