Flashback
1.00
JAPANISCHE GRÜNZONE ÜBER DENVER
FREITAG, 10. SEPTEMBER
»Sie wundern sich wahrscheinlich, dass ich Sie heute zu mir gebeten habe, Mr. Bottom«, sagte Hiroshi Nakamura.
»Nein«, antwortete Nick. »Ich weiß genau, warum Sie mich geholt haben.«
Nakamura blinzelte. »Tatsächlich?«
»Ja.« Scheiß drauf , dachte Nick, wer A sagt, muss auch B sagen. Nakamura möchte einen Detektiv engagieren. Zeig ihm, dass du einer bist. »Sie wollen, dass ich den oder die Mörder Ihres Sohnes Keigo finde.«
Nakamura blinzelte erneut, blieb jedoch stumm. Als hätte ihn der laut ausgesprochene Name seines Sohnes erstarren lassen.
Die Augen des alten Milliardärs schnellten kurz zu seinem gedrungenen, kräftigen Sicherheitschef Hideki Sato. Dieser lehnte an einem Treppentansu neben dem Shoji, der zum Hofgarten geöffnet war. Wenn Sato mit irgendeiner Bewegung oder einer mimischen Regung auf den Blick seines Dienstherrn reagierte, so nahm Nick nicht das Geringste davon wahr. Er konnte sich auch nicht erinnern, dass Sato auf der Fahrt im Golfwagen hinauf zum Haupthaus oder während der Vorstellung in Nakamuras Büro nur einmal das Gesicht verzogen hätte. Die Augen des Sicherheitschefs waren Murmeln aus Obsidian.
Schließlich sprach Nakamura weiter. »Ihre Schlussfolgerung ist
richtig, Mr. Bottom. Eine elementare Schlussfolgerung, wie Sherlock Holmes sagen würde, da Sie damals der für den Fall meines Sohnes zuständige Ermittler waren, als ich noch in Japan war, und wir beide nie Kontakt miteinander hatten.«
Nick wartete.
Nach dem flüchtigen Blick in Satos Richtung hatte sich Nakamura wieder auf das einzelne Blatt E-Pergament in seiner Hand konzentriert, doch nun richteten sich seine grauen Augen bohrend auf Nick.
»Glauben Sie, Sie können den oder die Mörder meines Sohnes finden, Mr. Bottom?«
»Ganz sicher«, log Nick. Er ahnte, dass ihm der alte Milliardär eigentlich eine ganz andere Frage gestellt hatte: Können Sie die Uhr zurückdrehen und verhindern, dass mein einziger Sohn getötet wird?
Auch auf diese Frage hätte Nick notfalls mit »ganz sicher« geantwortet. Um an das Geld zu kommen, das ihm dieser Mann geben konnte, war Nick zu jeder Behauptung bereit. Denn das war genug Geld, um für Jahre zu Dara zurückzukehren. Vielleicht sogar für den ganzen Rest seines Lebens.
Nakamura rümpfte leicht die Nase. Nick war klar, dass man nicht zum hundertfachen Milliardär und zu einem der neun regionalen Bundesberater in Amerika wurde, wenn man ein Dummkopf war.
»Warum sind Sie so davon überzeugt, dass es Ihnen jetzt gelingen wird, Mr. Bottom, wo Sie doch vor sechs Jahren gescheitert sind, zu einem Zeitpunkt also, da Sie noch ein echter Mordermittler waren und die vollen Ressourcen des Denver Police Department hinter sich hatten?«
»Damals gab es vierhundert ungeklärte Mordfälle, Mr. Nakamura. Wir hatten fünfzehn Ermittler, die für alles zuständig waren, und jeden Tag kamen neue Fälle rein. Jetzt kann ich mich ganz darauf konzentrieren, diesen einen Fall zu lösen. Keine Ablenkung.«
Nakamuras graue Augen, die ohnehin frostig und so reglos waren
wie Satos dunkle Obsidiane, wurden merklich noch frostiger. »Wollen Sie damit andeuten, Detective Sergeant Bottom, dass Sie der Ermordung meines Sohnes damals nicht absoluten Vorrang eingeräumt haben – trotz entsprechender Anweisungen des Gouverneurs von Colorado und der Präsidentin der Vereinigten Staaten persönlich?«
Nick spürte das Flashbackjucken im Inneren wie das Krabbeln eines Tausendfüßlers. Am liebsten wäre er aus dem Zimmer verschwunden und hätte sich das Früher übergestreift wie eine warme Wolldecke: damals, nicht heute, sie, nicht das hier.
»Ich will damit bloß sagen, dass das DPD vor sechs Jahren keinen einzigen Mordfall mit der angemessenen Sorgfalt und dem nötigen Personalaufwand bearbeitet hat«, erwiderte Nick. »Nicht einmal den Ihres Sohnes. Und wenn das Kind der Präsidentin persönlich in Denver ermordet worden wäre, das Dezernat Gewaltverbrechen hätte den Fall nicht lösen können.« Er schaute Nakamura offen in die Augen, obwohl er sich ziemlich lächerlich vorkam mit dieser Aufrichtigkeitsmasche.
»Und heute erst recht nicht«, fügte er hinzu. »Heute ist es noch fünfzigmal schlimmer.«
In dem Büro gab es keinen einzigen Stuhl zum Hinsetzen, nicht einmal für Mr. Nakamura persönlich. Nick Bottom und Hiroshi Nakamura standen sich gegenüber, nur getrennt durch das schmale, brusthohe, vollkommen
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