Die Zeit, die Zeit (German Edition)
neun, mehr als er gedacht hatte. Er markierte sie und druckte sie auf Lauras Farblaserdrucker aus. Ebenfalls aus dem Inventar der Illulaura GmbH.
Taler legte die Bilder nebeneinander auf den Esstisch. Der erste Unterschied, der ihm ins Auge fiel: Auf dem Parkplatz vor dem Haus stand – Rohrbachs silbergrauer Polo!
Die Familie Rohrbach war vor drei Monaten ausgezogen.
Er ging zurück zum Bildschirm und prüfte die Bildinformation. Das Foto war am sechzehnten Mai des vergangenen Jahres aufgenommen worden. Am Tag vor Lauras Tod.
Wenn Laura fotografierte, hatte sie es immer mit einem gewissen gestalterischen Willen getan, eine déformation professionelle, wie sie es nannte. Aber an diesem Bild war nichts von künstlerischem Ehrgeiz zu entdecken. Es war so banal wie die, die Peter geschossen hatte. Als hätte auch sie nur etwas dokumentieren wollen.
Er brauchte nicht lange, um herauszufinden, was es war. Neben dem Sitzplatz mit den rot gestrichenen Gartenmöbeln, dort, wo der japanische Zwergahorn gestanden hatte, war jetzt ein Loch. Auf den Steinplatten lag etwas Aushub auf einem Haufen und daneben, als Kleinholz mit noch grünen Ästen, das hübsche Bäumchen.
Weshalb wollte Laura wohl das Ende des Zwergahorns festhalten? Und weshalb hatte sie ihm nichts davon gesagt?
Die Perspektiven seiner Fotos stimmten nicht mit Lauras überein. Er verschob und verstellte Stativ und Kamera, bis er fand, der Blickwinkel sei derselbe. Er benötigte viele Versuche, bis die Fotos tatsächlich so genau übereinstimmten, dass er sie auf transparentem Papier ausdrucken und auf Lauras Leuchtkasten übereinanderlegen konnte.
Die Container standen ein wenig anders, die Autos auch, die Gartenmöbel stimmten nicht überein, gewisse Fenster waren offen und andere zu, das Licht war verschieden, und auf Lauras Foto war ganz am rechten Bildrand die Hälfte eines Mopeds zu sehen, das aus dem Bild fuhr.
Und der japanische Zwergahorn war wieder da.
Taler knipste seine Nachttischlampe an und setzte sich auf. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen und was ihn so abrupt aus dem Schlaf gerissen hatte.
Der Wecker zeigte kurz nach vier. Keine gute Zeit, um wieder Schlaf zu finden.
Er öffnete die Nachttischschublade und nahm die Pistole heraus.
Seit Lauras Tod hatte er sich zum Einschlafen mit immer der gleichen Phantasie von seinem Schmerz abgelenkt: Er stellte sich vor, wie er seine Pist 75, die persönliche Waffe, die er als Sanitätssoldat gefasst hatte, hervorzog, sie auf Lauras Mörder richtete und ohne Zögern das Magazin leerschoss. Neun Schuss.
Aber diesmal funktionierte es nicht.
Waren es die Tapas von Juanitos, aus denen sein Abendessen bestanden hatte und die immer mit etwas viel Knoblauch und Öl zubereitet waren? Oder hatte das Kind geweint, dessen Fenster zwei Etagen unter seinem lag?
Er trank einen Schluck aus der Mineralwasserflasche, die neben seinem Bett stand.
Nein, es war kein Geräusch und auch nicht die schwere Mahlzeit, die ihn geweckt hatten. Es war ein Gedanke gewesen. Und er hatte mit den fast deckungsgleichen Fotos zu tun. Aber was?
Peter stand auf und ging in Lauras Arbeitszimmer. Es lag im gespenstischen Licht des Leuchtkastens, den er vergessen hatte abzuschalten.
Er erschrak. Vor zwei Jahren war er auch mitten in der Nacht erwacht und hatte den Platz neben sich leer gefunden. Laura war, wie immer, im Verzug gewesen mit einem ihrer seltenen Privataufträge und hatte Nachtschichten eingelegt. Er wollte nachschauen und hatte ihr Arbeitszimmer so vorgefunden wie jetzt: leer, der Leuchtkasten die einzige Lichtquelle. Er hatte den Kasten ausgeschaltet, und als er die Tür hatte schließen wollen, hörte er plötzlich ihre erschrockene Stimme rufen: »Was, was, was?!« Sie hatte sich auf den Boden gelegt und war eingeschlafen.
Taler machte Licht und versuchte, sich nicht nach ihr umzusehen. In den ersten Monaten war er immer auf ihr Erscheinen gefasst gewesen, und er hätte wohl den Verstand verloren, wenn er sich nicht gezwungen hätte, nicht mehr jederzeit mit ihr zu rechnen.
Er legte die beiden Fotos auf den Leuchtkasten und versuchte, sich zu konzentrieren. Aber abgesehen vom Zwergahorn und den beweglichen Dingen – Möbel, Gartengeräte, Fahrzeuge und so weiter – war alles deckungsgleich.
Und abgesehen von den Pflanzen, die natürlich übers Jahr gewachsen waren.
Und da war er wieder, der Gedanke, der ihn wachgerüttelt hatte:
Die Pflanzen waren gewachsen, nicht aber die Apfelbäume in Knupps
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