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Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Titel: Die Zeit, die Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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mit dem Tram gekommen. Die Nummer zwölf fuhr gerade ein, als die Tramstation in Sichtweite kam. Er rannte los, überquerte den Fußgängerstreifen bei Rot und wurde beinahe von einem hupenden Offroader überfahren. Als er den Türöffnungsknopf erreichte, ging das grüne Licht aus. Taler schlug mit der flachen Hand gegen das anfahrende Tram. Dann wandte er sich fluchend ab und sah direkt in das grinsende Gesicht des Autofahrers, dessen Reaktionsfähigkeit er sein Leben verdankte.
    Als er sich mit beinahe einer Viertelstunde Verspätung einstempelte, traf er Kübler. »Lieber spät als nie«, grinste der.
    Lieber nie, dachte Taler.
    Und kaum war er in seinem Büro, klingelte das Telefon. Es war Gerber, sein Chef. »Wir müssen reden«, sagte er.
    Er saß hinter seinem aufgeräumten Schreibtisch und telefonierte. Als Taler eintrat, hielt er die Hand über die Sprechmuschel und raunte: »Setz dich doch.« Sie waren per Du, noch aus der Zeit, als Taler eigentlich für Gerbers Job vorgesehen war und dieser sich mit ihm gutstellen wollte.
    Taler setzte sich auf den Besucherstuhl, der seitlich versetzt und mit etwas zu großem Abstand an der Längsseite des Schreibtischs stand.
    Gerber telefonierte mit dem Mitarbeiter eines Baumaschinenvermieters, den er »Jeff« nannte. Taler kannte ihn von früher. Jeff hatte ihn manchmal zu kostspieligen Essen eingeladen, in der fälschlichen Annahme, er habe Einfluss auf die Wahl der Lieferanten von Feldau & Co.
    Taler hatte das Gefühl, Gerber ziehe das Gespräch absichtlich in die Länge. Das bedeutete, dass er Taler etwas Unangenehmes zu sagen hatte. Aber wenn es um die Kündigung gegangen wäre, wäre Weingartner, der Personalchef, dabei gewesen. Ohne Weingartner gab es auf Gerbers Hierarchiestufe keine Kündigungen. Taler entspannte sich, erlaubte sich sogar einen Blick auf die Uhr, der bedeutete: Den ganzen Nachmittag habe ich nicht Zeit.
    Als Gerber endlich aufgelegt hatte, faltete er die Hände im Nacken, lehnte sich zurück, sah Taler aus halbgeschlossenen Lidern in die Augen und seufzte: »Peterpeterpeter.«
    »Tram verpasst«, sagte Peter.
    Gerber winkte ab. »Es geht mir nicht um dieses eine Mal. Es geht mir um die Gesamtperformance. Wir wissen beide, wovon ich rede, nicht?«
    Taler schwieg und wartete.
    »Ich weiß, es ist schwer«, fuhr sein Chef fort.
    Nichts weißt du, keine Ahnung hast du. Und zwar nicht nur davon, sondern von gar nichts, dachte Taler.
    »Aber die Zeit heilt bekanntlich alle Wunden. Es ist jetzt über ein Jahr her. Du musst es hinter dich bringen. Nach vorne schauen.«
    Taler schwieg. Das, was er sagen wollte, durfte er nicht, und etwas anderes fiel ihm nicht ein.
    »Ich weiß, es ist schwer«, wiederholte Gerber. »Aber« – er hatte seine Stimme erhoben – »aber wenn du so weitermachst, kann ich dich nicht länger halten.«
    Ach so, du hältst mich?, dachte Taler, ohne deine Hilfe wäre ich längst auf der Straße? Danke, danke.
    »Perlucci spricht mich immer wieder auf dich an. Auch Weingartner hat sich schon nach dir erkundigt. Wiederholt.«
    Gerber ließ es auf seinen Untergebenen einwirken.
    Taler war nicht sehr beeindruckt, aber er musste sich jetzt äußern, er konnte es sich nicht leisten, den Job zu verlieren. Nicht, solange Lauras Mörder frei herumlief. Er hatte jetzt keine Zeit, eine neue Stelle zu suchen. Danach war es ihm egal. Danach würde ihm alles egal sein.
    »Ich weiß. Ich werde es versuchen.«
    »Einen neuen Anfang zu machen?«
    Taler nickte.
    Gerber brachte seine Hände, die er die ganze Zeit im Nacken gefaltet hatte, nach vorn, beugte sich über den Tisch und sah Taler mit mildem Ernst in die Augen. »Versuchen reicht nicht, Peter. Es muss gelingen.«
    Taler nickte so schuldbewusst, wie er konnte.
    »Du musst wieder bei der Sache sein. Feldau und Co. hat dir viel Verständnis entgegengebracht, das musst du zugeben. Dir Zeit gelassen, dich geschont, dich mit Samthandschuhen angefasst.«
    Taler ließ ihn reden.
    »Aber wir« – wir! – »sind ein Unternehmen, kein Hilfswerk, gerade in Zeiten wie diesen. Ich verstehe es, wenn man da oben findet, die Schonzeit habe lange genug gedauert. Dagegen komme selbst ich – bei aller Freundschaft – nicht an.«
    Peter Taler bedankte sich bei Gerber für seinen Einsatz und verabschiedete sich.
    Als er die Tür erreicht hatte, rief Gerber: »Peter?«
    Taler wandte sich um und sah Gerbers aufmunterndes Lächeln.
    »Das Leben geht weiter.«
    Taler spürte den Hass in sich

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