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Die Zeitfalle

Die Zeitfalle

Titel: Die Zeitfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Carr
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zurückzuhalten, was plötzlich aus seinem Magen heraufquoll. Er konnte kaum seine Füße fühlen und schwebte – oder glitt – den langsam sich neigenden Boden hinab zur Badezimmertür, die Arme halb ausgebreitet, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Nur die Vorwärtsbewegung schien zu verhindern, daß er stürzte.
    Er fiel vor der Klosettschüssel auf die Knie, ohne den Aufprall zu fühlen, und erbrach sich heftig. Sein krampfartiges Würgen förderte nur einen grünlichen, galligen Schleim zutage. Ausgelöst von seiner Anwesenheit, begann das Badezimmer besänftigende Musik zu spielen – Streicher und Holzbläser – und erfüllte den kleinen Raum mit Parfümduft: Sandelholz. Es war alles sehr modern.
    Bradley harrte aus, immer wieder von trockenem Würgen geschüttelt, bis sein Magen sich endlich zu beruhigen schien. Dann kniete er, die Stirn an der Klosettbrille. Feine Schweißtropfen bedeckten seine Oberlippe.
    Das Erbrechen hatte seinen Kopf geklärt und ihn wieder seines Körpers bewußt gemacht, aber darüber hinaus hatte es nicht viel geholfen. Er fühlte sich noch immer scheußlich.
    Denk nicht, warum, laß das ganz aus dem Spiel. Bewegung ist besser. Bring deinen Kreislauf ein wenig in Gang. Oder stirb. Stirb und verfaule. Dann hast du für immer deine Ruhe.
    Er stand mühsam auf, wusch sein Gesicht mit kaltem Wasser und spülte seinen Mund. Schwächlich fluchend, mit wankenden Knien, verließ er das Badezimmer. In der Wohnung war es wärmer. Mechanisch hob er seine Kleider auf, die er herumgeworfen hatte, als die Droge angefangen hatte, seine Verstandeszentren zu benebeln und sein Unbewußtes direkt in erfahrenes Geschehen zu übertragen. Er warf seine Kleider, die nach mehreren Tagen Tragezeit unsauber und zerknittert waren (sie bestanden aus Zellstoff-Preßfasern), in den Abwurfschacht, der zum Sammelbehälter des Gebäudes führte. Sie würden eingestampft und aufbereitet und zur Herstellung von Papier oder neuen Kleidern wiederverwendet. Ähnlich war es mit dem Spülwasser, das sein Erbrochenes hinuntergeschwemmt hatte; auch das wurde filtriert und desinfiziert und gereinigt und wieder durch die Leitungen gepumpt, während die Rückstände des Systems ausgefault und kompostiert und getrocknet wurden, um als Düngemittel Verwendung zu finden. Nun, wo es beinahe zu spät war, hatte der Staat alles in die Hand genommen und machte sehr groß in Ökologie.
    Neben dem Abwurfschacht war ein großer Ankleidespiegel, und Bradley betrachtete seine Nacktheit mit Abscheu. Weiß wie ein Fischbauch, schlaff, mit spärlicher schwarzer Behaarung, die auf der weißen Haut absolut unappetitlich aussah, und schlechter Haltung. Er fühlte einen Anflug von wiederkehrender Übelkeit. Frische Kleider. Zieh dich an. Das neue Zeug fühlte sich auf seiner schmutzigen Haut erstickend an, aber egal. Alles hübsch zudecken, bevor es zu verwesen beginnt.
    Angekleidet, ging er ziellos in die Kochnische, vorbei an dem monströsen Steuerradtisch. Die elektrische Uhr an der Wand starrte mitleidslos auf ihn herab: Minute, Stunde, Tag, Monat, Jahr. Genau auf die Sekunde. Warum mußte man die Zeit so genau wissen? Fast gegen seinen Willen las er die geschmacklos stilisierten Zahlen, die von der Computerschrift abgeleitet waren. Erst siebzehn Uhr? Schlimm genug. Morgen wieder im Büro, die Magnetbänder, die Papiere, Lochkarten sortieren, die bedeutungslosen Nummernverzeichnisse. Und Martino war ihm übergeordnet, trotz seines niedrigeren Dienstalters. Schon das zweite Mal, daß sie ihn übergangen hatten.
    Plötzlich hatte Bradley Schwierigkeiten mit dem Atmen. Er lehnte sich an die Wand und schloß die Augen und versuchte nicht an die Sekunden zu denken, die zu Minuten, zu Stunden, zu Tagen, zu Wochen, zu Monaten und Jahren wurden, die alle vor ihm lagen, die er alle irgendwie würde durchstehen müssen. Er dachte trotzdem an sie und ließ sie in seinem Schädel einzeln abticken. Die Vorstellung war kaum zu ertragen, aber er mußte sich damit abfinden. Bis Freitag konnte er unmöglich mehr Egodrex kriegen. Jeden Freitag – das war seit drei Jahren seine regelmäßige Dosis. Selbst wenn er mehr kriegen könnte, konnte er es sich nicht leisten. Schon jetzt ging jeder Cent der kleinen Kreditspanne, die ihm für seinen persönlichen Bedarf eingeräumt wurde, für den Kauf seiner wöchentlichen Dosis der egomorphischen Droge drauf. Illegal transferiert. Aber dies war schlimm. Er fühlte einen anderen vertrauten Drang aufkommen, der

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