Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
Vom Netzwerk:
und warm; das beruhigte. Alle Dachbodenängste waren verflogen. Im Topf brodelte duftend der Kakao; die Geranien am Fensterbrett blühten; mitten auf dem Tisch stand eine Vase mit kleinen gelben Chrysanthemen. Die roten Gardinen waren zugezogen; ihr blaues und grünes Muster blinzelte fröhlich in die Küche. Der Ofen schnurrte wie ein großes, schläfriges Tier und strahlte sanft Licht und Wärme aus. Draußen war finstere Nacht, und noch immer rannte der Wind gegen das Haus – aber seine wütende Kraft hatte Meg nur schrecken können, solange sie ganz allein dort oben in der Dachkammer hockte; hier, in der vertrauten Behaglichkeit der Küche, war alles nur noch halb so schlimm. Sogar Fortinbras, der unter Mutters Stuhl lag, stieß einen zufriedenen Seufzer aus.
    Vorsichtig tupfte Frau Murry gegen die Schwellung auf Megs Wange. Meg blickte zu ihrer Mutter auf – halb bewundernd, halb in trotziger Ablehnung. Es war nicht leicht, wenn man eine Mutter hatte, die nicht nur eine wissenschaftliche Kapazität war, sondern eine Schönheit obendrein. Ihr leuchtendrotes Haar, ihr milchheller Teint und ihre veilchenblauen Augen mit den langen dunklen Wimpern wirkten im Vergleich zu Megs schrecklichem Allerweltsgesicht nur um so hübscher. Megs Haar hatte sich noch bändigen lassen, solange sie Zöpfe getragen hatte. Aber als Meg in die Schule kam, ließ Mutter ihr die Haare schneiden, und seitdem mühten sie sich zu zweit damit ab, es hochzustecken. Dabei fiel aber immer eine Seite lockig aus und die andere glatt; das Ergebnis: Meg sah mit ihrer neuen Frisur noch dümmer aus als zuvor.
    »Du lernst es wohl nie, mein Schatz, daß man sich manchmal weise beschränken muß«, seufzte Frau Murry. »Wann wirst du endlich begreifen, daß es so etwas wie einen goldenen Mittelweg gibt? – Die Schramme, die dir der junge Henderson da verpaßt hat, sieht wirklich böse aus! Übrigens hat – da warst du schon im Bett – seine Mutter angerufen und sich darüber beklagt, wie schlimm du ihren Sohn zugerichtet hast. Ich habe ihr gesagt: »Er ist ein Jahr älter und mindestens fünfundzwanzig Pfund schwerer als Meg; also müßte eigentlich ich mich beschweren!« Aber sie schien überzeugt, daß es ganz allein deine Schuld war.«
    »Es kommt immer darauf an, von welcher Seite man es betrachtet«, sagte Meg. »Meist geben die Leute mir die Schuld, auch, wenn ich mit der Sache gar nichts zu tun hatte. Aber diesmal habe leider tatsächlich ich angefangen. Ich wollte den Kerl verdreschen. Ich habe eben eine schreckliche Woche hinter mir; da hat sich eine Menge Wut aufgestaut.«
    Frau Murry strich Meg über die Zotteln. »Wut? Weißt du auch, worauf du wütend bist?«
    »Darauf, so ein Außenseiter zu sein!« rief Meg. »Und leider bin ich auch auf Sandy und Dennys wütend. Ich weiß nicht, ob sie wirklich wie alle anderen sind, oder ob es ihnen bloß gelingt, so zu tun. Mir jedenfalls gelingt das nicht, so sehr ich mich auch anstrenge.«
    »Du bist viel zu ehrlich, um etwas vortäuschen zu können«, sagte Frau Murry. »Das ist manchmal recht schlimm, mein Liebes. Ach ja, wenn Vater da wäre! Der könnte dir wahrscheinlich helfen. Ich kann dir nur raten, dich durchzuboxen, bis du es eines Tages geschafft hast. Dann wird dir alles viel leichter fallen. Aber damit ist dir im Augenblick wohl kaum gedient, was?«
    »Ich weiß nicht … Wenn ich doch nur nicht so häßlich wäre, sondern so hübsch wie du … «
    »Mutter ist nicht bloß hübsch«, wandte Charles Wallace ein und schnitt noch ein wenig Leberwurst ab, »sie ist geradezu eine Schönheit. Wetten, daß sie in deinem Alter auch so ein häßliches Entchen war?«
    »Du hast es erraten!« sagte Frau Murry und lachte. »Du mußt nur abwarten und etwas Geduld haben, Meg.«
    »Willst du Schnittlauch aufs Brot, Mutter?« fragte Charles Wallace.
    »Nein, danke.«
    Er teilte das Brot, legte es auf einen Teller und stellte ihn Mutter auf den Tisch. »Dein Brot kommt sofort, Meg. – Ich glaube, ich werde mich mit Frau Wasdenn über dich unterhalten müssen.«
    »Wer ist denn das wieder?«
    »Das will ich für‘s erste lieber ›entre nous‹ behalten«, sagte Charles Wallace. »Möchtest du Salz?«
    »Ja, bitte.«
    »Wer ist denn deine Frau Wasdenn?« fragte Mutter.
    »Sie heißt wirklich so«, sagte Charles Wallace. »Zumindest behauptet sie es. Du kennst doch das alte Haus im Wald, das mit dem Schindeldach? Die Kinder trauen sich nicht an die Hütte heran, weil sie glauben, daß es drinnen

Weitere Kostenlose Bücher