Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
was sich unter den Hufen seines Pferdes befand. Und gerade dieser Gedanke verursachte ihm ein unschönes Drücken oberhalb des Magens. Wenn eine Siedlung dieser Größe einfach verschwinden konnte, sowohl aus der Erinnerung der Menschen als auch aus der Landschaft, als hätte sie nie existiert …
Er zwang sich, diese deprimierenden Überlegungen zu beenden. Doch jedes Mal, wenn er vor sich Pompeji sah, das dort im klaren Licht eines schönen Sommermorgens lag, musste er daran denken, dass all das bald ausgelöscht sein würde.
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Pompeji
24. August A. D. 79
Es war ein merkwürdiges Gefühl für Andreas. Nachdem er zusammen mit Franklin durch die Porta Salis, das einem Triumphbogen ähnliche nordwestliche Stadttor Pompejis, gegangen war, fühlte er sich in eine Welt versetzt, die ihm auf seltsame Weise gleichzeitig fremd und vertraut erschien.
Einerseits waren da die weiß gekalkten Fassaden der zweistöckigen Häuser zu beiden Seiten der Via Sarina, deren heller Putz teilweise mit bunten figürlichen Darstellungen oder farbenfrohen Mustern bemalt war; da waren die zahlreichen Menschen, die entweder geschäftig durch die Straßen eilten und ihren Tätigkeiten nachgingen oder in kleinen Gruppen an den Häuserecken standen und sich ohne jede Eile unterhielten. Lieferjungen trugen Körbe mit frischen Broten, Frauen mit Amphoren trafen sich beim Wasserholen an den plätschernden Brunnen und nutzten die Gelegenheit, um die neuesten Gerüchte auszutauschen. Händler priesen wortreich und lautstark ihre Waren an, die sie in den zur Straße hin offenen Läden ihrer Häuser zum Verkauf anboten, und Männer in schlichten, aber sorgfältig drapierten weißen Togen bemühten sich, möglichst würdevoll und gravitätisch einherzuschreiten, um ihre Zugehörigkeit zur Aristokratie in jedem Detail ihres Auftretens augenfällig werden zu lassen. Das alles war so, wie es Andreas aus vielen kleinen Städten Italiens kannte und schon oft erlebt hatte.
Und doch war vieles anders. Es waren zwar nur Einzelheiten, doch sie reichten aus, damit Andreas auf Schritt und Tritt bewusst wurde, dass dies eine lang zurückliegende Zeit war. Er hörte die Menschen sprechen und verstand, was sie sagten. Aber ihr Latein erschien ihm archaisch, und die Art, wie sie redeten, war beinahe komisch. Zwar konnte Andreas im Vorbeigehen immer nur einzelne Wörter und Fragmente von Sätzen aufschnappen, doch schon diese Bruchstücke muteten altertümlich an, ganz abgesehen davon, dass der hier übliche campanische Dialekt sich zuweilen deutlich vom Latein Ciceros unterschied. Aber nicht nur in der Sprache offenbarte sich die zeitliche Distanz.
Nicht ein gedrucktes Plakat, nicht eine Bekanntmachung in den sauberen, gleichförmigen Buchstaben des Typoscribetors hing an den Häuserwänden. Dafür fiel Andreas die Vielzahl der Wahlparolen auf, die man mit schwarzer oder roter Farbe auf den Putz gemalt hatte. Es schienen Wahlen zu verschiedenen öffentlichen Ämtern bevorzustehen oder vor Kurzem stattgefunden zu haben, denn die Anhänger der Kandidaten forderten in kurzen Sätzen die stimmberechtigten Bürger Pompejis dazu auf, M. Holonius Priscus, Cn. Helvius Sabinus oder L. Ceius Secundus zum Duovirn oder Aedilen zu bestimmen.
Die Namen verwirrten Andreas zunächst ein wenig, bis er sich daran gewöhnt hatte, dass überall die altrömische Form verwendet wurde, bei welcher der Vorname am Ende stand.
Der vielleicht größte Unterschied zu seiner Zeit fiel Andreas jedoch ins Auge, als er mit Franklin an eine belebte Straßenkreuzung kam und sich dort einem Tempel gegenübersah. Die Giebelinschrift ließ keinen Zweifel, dass hier der heidnischen Göttin Augusta Fortuna gehuldigt wurde. Der Anblick dieses Bauwerks machte Andreas nachdenklich. Er befand sich hier in einer Welt, in der Jesu Lehren vom Wesen des Einzigen Gottes schon verbreitet wurden, die aber trotzdem noch vom Heidentum, vom Pantheon der alten Götter Roms beherrscht wurde. Das erschreckte ihn nicht, denn Jupiter, Mars und Venus waren als Symbolgestalten auch in seiner Zeit noch allgegenwärtig, und ihre Erwähnung galt keineswegs als verdammungswürdige Häresie. Doch er fragte sich, ob es wohl in Pompeji Christen geben mochte, vielleicht eine kleine Gemeinde, die ihren Glauben nur im Verborgenen auszuüben wagte.
Die Eindrücke, die der Ostgote auf seinem schnellen Weg durch die Hauptstraßen Pompejis aufnahm, ließen ihm diesen Ort seltsam irreal erscheinen; obwohl
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