Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
dass in einem verbündeten Reich ihre Glaubensbrüder verfolgt werden.«
»Du hast es ganz genau erfasst, Andreas. Die Föderaten würden auf Krieg drängen, die Lateiner würden es ablehnen, für den Glauben der anderen ihr Leben zu riskieren. Die Folge wären innere Zwistigkeiten im Imperium, die sich rasch zu einer existenzbedrohenden Krise ausweiten könnten. Das große Toleranzwerk Rufus’ I. würde durch die Launen eines halbbarbarischen Königs zunichtegemacht. Und dabei ist das noch nicht einmal das Allerschlimmste …«
»Was könnte schlimmer sein als die Möglichkeit eines Bürgerkriegs, Marcellus?«
»Erinnere dich, Karl beansprucht plötzlich den Kaiserthron! Er hat das bisher noch nicht öffentlich gesagt, denn ihm ist bewusst, dass Kaiser Rufus eine solche Äußerung als Kriegserklärung auffassen müsste. Aber was, wenn das Westreich ohne seine Legionen dastünde …?«
Marcellus schob mit einer Handbewegung die Dokumente fort, die auf der Mosaikkarte das östliche Mare Internum verdeckten, zeigte auf das Gebiet jenseits vom Oströmischen Reich und sagte: »Persien!«
Dieses eine Wort reichte aus, um bei Andreas die schlimmsten Befürchtungen wachzurufen.
Persien, die ewige Nemesis Roms! Seit Jahrhunderten brachte dieses von Gott verfluchte Reich einen Shahinshah nach dem anderen hervor, der meinte, sich mit dem Imperium messen zu müssen. Die Niederlage, die Rufus IIII. und Herakleios vor über 170 Jahren dem heimtückischen Chrosoes zugefügt hatten, hätte die Perser ein für allemal lehren müssen, dass Rom unbesiegbar war, wenn Ost- und Westreich zusammenstanden. Doch stattdessen war an der langen Grenze Ostroms, die sich vom bergigen Armenien bis zum glühend heißen Arabien erstreckte, immer wieder die Fackel des Krieges aufgeflammt. Sollte es wieder einmal so weit sein? War das der Grund, warum schon seit einiger Zeit in den großen Häfen des Westreichs Schiffe zusammengezogen wurden? Andreas hatte gehört, dass in allen Provinzen die Legionen in die Umgebung der Hafenstädte verlegt worden waren, und es hatte die verschiedensten Gerüchte über die Gründe gegeben. Marcellus sprach weiter:
»Noch herrscht Frieden, der oströmische Geheimdienst hat jedoch Meldungen erhalten, die nichts Gutes verheißen. Shahinshah Hormuzan lässt seine Armee nach Norden verlegen, und die Elitetruppen der Unsterblichen sind auch darunter. In Konstantinopel rechnet man fest mit Krieg, und wenn es dazu kommt, wird Kaiser Konstantin die Waffenhilfe einfordern, zu der wir verpflichtet sind. Die Vorbereitungen dafür laufen schon seit Wochen, seitdem die ersten Nachrichten über einen persischen Aufmarsch an der armenischen Grenze eintrafen. Das hieße aber, dass fast alle regulären Legionen aus dem westlichen Imperium abgezogen werden müssten. Und dann …«
Marcellus überließ es Andreas’ Vorstellungskraft, sich die möglichen Folgen dieser Kombination auszumalen. Ein Barbarenkönig, der unberechenbarem Wahnsinn verfallen ist und sich den Kaiserthron aneignen will, und ihm gegenüber ein Weströmisches Reich ohne nennenswertes Feldheer.
»Die auxiliarii unserer Föderaten an den Grenzen zum Frankenreich sind viel zu schwach, um Karl Widerstand entgegensetzen zu können, wenn er wirklich vorhat, was Ihr annehmt, Marcellus. Das Desaster wäre unvermeidbar. Könnten nicht Vandalen aus Nordafrika …«
Noch bevor Andreas ausgeredet hatte, schüttelte der Präfekt den Kopf. »Unmöglich. Ohne die VII. und X. Legion haben die Vandalen gerade genug ausgebildete Soldaten, um die Berber fernzuhalten. Zögen wir diese Truppen auch noch ab, würden wir unsere Kornkammer diesen Nomaden zur Verwüstung preisgeben. Ganz abgesehen davon, so verzweifelt sind wir noch nicht. Andreas Sigurdius, ich habe eine wichtige, sehr wichtige Aufgabe für dich!«
Mit dem Finger wies Marcellus auf einen Punkt der Landkarte, wo eine Mauer mit drei Türmen eine Stadt symbolisierte. Daneben stand in großen, roten Buchstaben » TREVERA «.
»Du wirst nach Trevera gehen, der Hauptstadt des Frankenreiches. Ich muss wissen, was bei den Franken vorgeht, ob Karl wahnsinnig geworden ist, ob er Kriegsvorbereitungen trifft, alles.«
»Aber Präfekt!« In Andreas’ Gesicht stand das blanke Entsetzen geschrieben. »Das ist unmöglich! Ich … ich bin doch kein Spion, ich kann nicht …«
»Im Gegenteil, Andreas, du bist der perfekte Spion – denn du wirst in der Rolle, die du spielst, absolut überzeugend sein. Wer könnte den Sohn
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