Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
feststellen, dass das Imperium nicht einen einzigen Kundschafter im Frankenreich hat … Wenigstens konnte ich durch persönliche Kontakte diese Abschriften oströmischer Geheimdienstberichte erhalten.«
»Die Oströmer haben Agenten im Frankenreich?« Aus Andreas’ Stimme sprach echte Verblüffung.
»Unsere griechischen Brüder waren schon immer etwas misstrauischer, von ihnen können wir auf dem Gebiet der Spionage noch manches lernen. Andere Berichte stammen von Kaufleuten und Reisenden, und manches stand auch in den Mitteilungen unseres Gesandten in Trevera, es handelt sich also auch um Vorgänge bei den Franken, die durchaus nicht im Geheimen ablaufen. Damit du dich nicht durch diese Stapel von Papier kämpfen musst, will ich dir die wichtigsten Fakten kurz schildern …«
Andreas hörte jetzt zum ersten Mal, welche ungewöhnlichen Veränderungen seit rund drei Jahren im Frankenreich vor sich gingen. Manches davon wusste er bereits, aber nun bekam es für ihn erst echte Bedeutung. Angefangen hatte alles im Februar 1546, als König Karl die Strukturen seines Reiches überraschend und scheinbar völlig grundlos umkrempelte. Eine bizarr aufgebaute Verwaltung, die jeder Staatstheorie Hohn sprach, wurde eingeführt, mit Hunderten von Grafen als königlichen Statthaltern sowie geistlichen und weltlichen Hofämtern in gleicher Zahl. Das aber war erst der Anfang. Kaum dass der Frühling begonnen hatte, fiel Karl mit seinem Heer ohne irgendeinen erkennbaren Grund in Sachsen ein und unterwarf das Land bis zur Elbe in wenigen Wochen mit grausamsten Mitteln. Offizielle Begründung war, dass Karl, der schon immer zum religiösen Eifer geneigt hatte, den heidnischen Sachsen das Christentum zu bringen beabsichtigte. Es war jedoch völlig rätselhaft, welche Art Christentum er dabei im Sinn hatte, denn bei den erzwungenen Massentaufen mussten die besiegten Sachsen einen Eid auf den Papst und die Römische Kirche leisten. Niemand konnte sich erklären, was damit gemeint sein sollte, denn es gab keine Römische Kirche, nur eine Nicaeische, und deren Oberhaupt war – nach dem oströmischen Kaiser – der Patriarch von Konstantinopel. Der Papst in Rom kam als dessen Untergebener und Statthalter in der westlichen Diözese erst an dritter Stelle der kirchlichen Hierarchie. Aber die Sachsen hatten keine andere Wahl, als diesen ebenso sinnlosen wie verwirrenden Eid zu leisten, denn auf Eidverweigerung stand der Tod.
Während seine Soldaten noch Terror in Sachsen verbreiteten, nahm Karl weitere unerklärliche Projekte in Angriff. Per Gesetz wurden die lateinischen Monatsnamen abgeschafft, an ihre Stelle traten neukonstruierte Bezeichnungen in der barbarischen fränkischen Sprache. Steinmetze, Schmiede, Maurer und Zimmerleute wurden im ganzen Land zwangsverpflichtet, der Grund dafür war unbekannt. Und Karl selbst befahl, dass man ihn fortan Karl den Großen nennen möge.
»Und das vielleicht Beunruhigendste«, sagte Marcellus Sator nachdenklich, »ist sein Verhalten in kirchlichen Dingen.«
»Davon habe ich gehört, Präfekt. Es heißt, er nehme sich heraus, Bischöfe zu ernennen.«
»Und abzusetzen, ja. Noch nimmt man diese Anmaßung in Konstantinopel nicht allzu ernst, man ist dort von den Bulgaren weitaus größeren Ärger gewöhnt. Aber bald wird mit Sicherheit eine hochoffizielle Aufforderung bei unserem Caesaren eintreffen, in dem sein Bruderkaiser verlangt, dass wir Karl auf die Finger klopfen.«
»Das ist wahrscheinlich«, sagte Andreas. »Aber das sollte uns keine Sorgen machen. Karl würde wegen dieser Sache nie im Leben einen ernsthaften Konflikt mit dem Imperium riskieren. Er mag über ein großes Reich herrschen, aber sein Heer ist kein ernsthafter Gegner für uns.«
Der Präfekt lächelte nachsichtig. »Wie gerne würde ich dir zustimmen. Aber ganz so einfach ist es denn doch nicht. Die oströmischen Agenten im Frankenreich sind in den letzten Monaten nach und nach verstummt, vermutlich sind sie entdeckt worden und tot. Der letzte von ihnen konnte vor drei Wochen noch eine Botschaft nach Konstantinopel senden, ehe auch von ihm nichts mehr zu hören war. In dieser letzten Meldung ist davon die Rede, dass Karl den arianischen Glauben durch seine Bischöfe zur Häresie erklären lassen will. Du kannst dir vorstellen, was das bedeuten würde.«
»Das würde ganz bestimmt große Unruhe bei den Föderaten auslösen. Sie sind fast ausnahmslos Arianer, keiner dort könnte es verstehen, wie Rom es zulassen kann,
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