Die Zeitung - Ein Nachruf
angemessener transportiert werden kann.
Die zweite ist, dass die Medienunternehmer es mental und organisatorisch versäumt haben und versäumen, den Übergang von der skalenorientierten Massenproduktion des Industriekapitalismus zum bedürfnisorientierten Prinzip der Maßanfertigung zu vollziehen. Sie erinnern an die Albert Einstein zugeschriebene Definition von Wahnsinn: Immer das Gleiche zu tun und zu erwarten, dass sich etwas verändert.
Wolf Lotter, der Mitbegründer des deutschen Wirtschaftsmagazins
brand eins
, zeigt diesen Übergang in seinem jüngsten Buch
Zivilkapitalismus
5 sehr anschaulich. Er beschreibt die Manager des skalenorientierten industriekapitalistischen Konzernwesens als „Hausmeister des Kapitalismus“: „Sie kehren die Stube ein wenig, lüften den Keller, und falls mal wer klingelt, stehen sie verdruckst rum und sagen, dass keiner zu Hause sei und sie niemanden reinlassen dürften. Sie würden sich nur ums Haus kümmern, die Herrschaften seien nicht da.“ Die Herrschaften, das wären die Unternehmer, in unserem Fall die Verleger. „Manager“, schreibt Lotter, „sind nicht, dazu da, um Innovationen zu treiben – das ist die Aufgabe des kreativen Unternehmers –, sondern dazu, den Erhalt des Systems zu sichern. Bestenfalls sollen sie es optimieren und effizienter machen.“ Genau das versuchen die Medienmanager unserer Tage in ihren skalenorientierten, auf Kostensenkungen fixierten Programmen, mit denen sie den Turbo im „race to the bottom“ gezündet haben.
Die Entwicklung weg von Verleger-geführten zu Managementgeführten Medienunternehmen erweist sich heute als entscheidender Wettbewerbsnachteil für die etablierten Medienunternehmen in der Auseinandersetzung mit den digitalen Herausforderern, die von hungrigen, risikobereiten Unternehmern angeführt werden. „schöpferische Zerstörung“ nannte der österreichische Ökonom Joseph A. Schumpeter diesen Prozess: Unternehmen, die nicht mehr konkurrenzfähig sind, weil ihre Eigentümer und Verwalter selbstzufrieden geworden sind und keine Innovationen mehr hervorbringen, werden durch frische, hungrige „Entrepreneure“ abgelöst.
Gelegentlich wird in diesen ökonomischen Ausleseprozess eingegriffen. Im günstigen Fall, weil es Privatpersonen gibt, denen – aus welchen Motiven auch immer – das Weiterbestehen von Unternehmen, Produkten oder Dienstleistungen ein außerökonomisches Anliegen ist. Es wurden bereits mehrere traditionsreiche Medienmarken – der
Independent
und der
Evening Standard
in England,
France Soir
in Frankreich – von russischen Milliardären übernommen. Ob es sich beim Kauf der
Washington Post
durch Amazon-Gründer Jeff Bezos im Herbst 2013 ebenfalls um Mäzenatentum handelt, wird man noch sehen. Der britische
Guardian
, der spätestens mit der NSA-Affäre prestigemäßig mit der
New York Times
als Weltmarke gleichgezogen hat, ist dabei, das für unendlich gehaltene Vermögen der Stiftung auszuzehren, die ihn erhält. Hunderte Millionen Pfund hat das journalistisch und ideologisch ehrgeizige Projekt seines Chefredakteurs Alan Rusbridger schon gekostet. Wenn sich nicht anstelle der „Share“-Ideologie ein Geschäftsmodell findet, sagen die Vertreter der Stiftung, ist es in drei Jahren vorbei.
Ungünstiger sind jene Fälle, in denen Unternehmen oder Branchen genug Unterstützung durch die Politik mobilisieren können, die dann durch marktverzerrende Maßnahmen das Leben von nicht lebensfähigen Unternehmen künstlich verlängert. Manchmal durch gesetzliche Maßnahmen, die der neuen Konkurrenz das Leben schwermachen, ein andermal durch direkte Subventionen. Am Ende geht es meistens gleich aus: Die Unternehmen sterben trotzdem und das Steuergeld ist weg.
Das Ende der „vierten Gewalt“?
Eine solche Subventionsdebatte wird auch in der Medienbranche geführt, seit klar geworden ist, dass die Lage wirklich ernst ist. Und dass es um etwas geht, das uns alle angeht: Die Funktion der Zeitung als „vierte Macht“ im Rahmen der Montesquieu’schen Gewaltenteilung, als Bühne, auf der das gesellschaftliche Selbstverständigungsgeschehen stattfindet, wie Arthur Miller es vor einem halben Jahrhundert beschrieb: „A good Newspaper, I suppose, is a nation talking to itself.“ Eine Nation im qualifizierten Selbstgespräch, ergebnisoffen, Widersprüche austragend und aushaltend, am gemeinsamen Erfolg interessiert und dem Gemeinwesen verpflichtet – so sehen wir heute, bei allem Naserümpfen über die
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