Die Zen-Lehre des Landstreichers Kodo (German Edition)
sagte, sollten wir dieser Szenerie gegenüber nicht blind oder ihrer unbewusst sein. Zazen erfordert eine Sicht von allem als Szenerie des Lebens des Selbst. In alten Zen-Texten wird das honchi no fuko (die Szenerie des Urgrunds) genannt.
Nicht wegen unserer Übung werden wir universum-volles Leben – genau jetzt leben wir es alle. Obwohl wir tatsächlich eins mit dem ganzen Universum sind, manifestieren wir das nicht in unserem Leben. Weil unsere Gedanken ständig unterscheiden, nehmen wir nur den Schwanz der Hirnsekretionen wahr. Wenn wir Zazen üben, lassen wir die Gedanken los, und die Gedanken werden wegfallen. Was in unseren Köpfen auftaucht, verschwindet wieder. So manifestiert sich universumvolles Leben. Dogen Zenji nannte das shojo no shu (Übung, die auf Erleuchtung gründet). Universum-volles Leben ist Erleuchtung. In unserer Übung sind wir das ganze Universum. Das wird shusho ichinyo (Übung und Erleuchtung sind eins) genannt.
Wir ziehen alle Glück dem Unglück vor, Paradies der Hölle, Überleben dem drohenden Tod. Derart teilen wir stets das Leben gabelförmig auf in etwas Gutes und etwas Schlechtes, in etwas, das wir mögen und etwas, das wir nicht mögen. Wir unterscheiden zwischen Satori und Täuschung und versuchen, Satori zu erlangen. Doch die Wirklichkeit des Universums ist weit jenseits von Abneigung und Anziehung. Wenn unsere Haltung ist: „Wer auch immer, was auch immer, wo auch immer“, dann manifestieren wir das ganze Universum. In der Haltung, die etwas erreichen will, sind wir ungefestigt. Wenn du Satori erlangen willst, bist du ganz sicher getäuscht von diesem Wunsch, deine gegenwärtige Situation verlassen zu wollen.
Dogen Zenji lehrte, dass unsere Haltung eine von sorgfältiger Übung in jeder Situation sein sollte, der wir begegnen. Wenn wir in die Hölle fallen, sollten wir nur durch die Hölle gehen. Das ist die wichtigste Haltung, die man einnehmen kann. Wenn wir Unglück begegnen, arbeiten wir uns ernsthaft da durch. Sitzt nur in der Wirklichkeit des Lebens, seht Himmel und Hölle, Unglück und Freude, Leben und Tod, alles mit dem gleichen Auge an. Egal, wie die Situation aussieht, wir leben das Leben des Selbst. Wir müssen unbeweglich auf dieser Grundlage sitzen. Das bedeutet es, „eins mit dem Universum zu werden“.
Zazen ist für nichts gut
Sawaki Roshi beendete eine lange Rede über Zazen mit der Behauptung, es sei für nichts gut. Die Leute dachten, er scherze. Doch das war nicht der Fall. Wie ich schon sagte: Wo auch immer was auch immer passiert, ich lebe mein Leben. Solange ich diese Einstellung bewahre, kann ich nirgendwo hingehen. Es gibt keinen Ort, an den ich gehen könnte. Weil es kein Ziel gibt, ist es natürlich zu sagen, Zazen sei für nichts gut. Es gibt dadurch nichts zu gewinnen, weil es voll des Universums ist.
Kurz nachdem ich mit Sawaki Roshi zu üben begonnen hatte, ergab sich die Gelegenheit, mit ihm in die Stadt Utsunomiya zu gehen. Auf unserem Weg sagte ich: „Wie Sie wissen, bin ich ein ziemlich inkompetenter Kerl, doch will ich mit Ihnen zwanzig oder dreißig Jahre Zazen üben – oder bis sie sterben. Wenn ich das tue, wird es dann einer schwachen Person wie mir möglich sein, ein bisschen stärker zu werden?“ Sawaki Roshi antwortete: „Nein! Zazen ist nutzlos.“ Er hatte eine laute, tiefe Stimme, er war stark und resolut. „Ich bin nicht wegen meines Zazen so“, fuhr er fort, „ich war schon vor meiner Übung so. Zazen ändert einen Menschen nicht. Zazen ist nutzlos.“ Als ich das hörte, dachte ich so bei mir: „Auch wenn Sawaki Roshi sagt, es wäre nicht möglich, werde ich doch in der Lage sein, mich zu verbessern.“ Ich folgte ihm fünfundzwanzig Jahre lang, bis er starb.
Sawaki Roshi starb im Dezember 1965. Als er noch lebte, verließ ich mich irgendwie auf ihn. Nach seinem Tod konnte ich das nicht mehr. Kurz nach seinem Tod rief ich mir die Frage ins Gedächtnis zurück, die ich auf unserem Marsch nach Utsunomiya gestellt hatte: „Habe ich mich nach der Übung des Zazen mit dem Roshi nach fünfundzwanzig Jahren verändert?“ Ich stellte fest, dass ich mich überhaupt nicht geändert hatte. In diesem Augenblick sagte ich ganz folgerichtig zu mir: „Ein Veilchen blüht als Veilchen, eine Rose als eine Rose.“ Es gibt Menschen wie Sawaki Roshi, die großen Rosenblüten ähneln. Andere – wie ich – ähneln kleinen, hübschen Veilchenblüten. Was ist besser? Das ist keine Frage von
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