Die Zerbrechlichkeit des Gluecks
Liz. Der Rest der Bergamots mochte schlampig daherkommen – manchmal trug Liz immer noch das T-Shirt, in dem sie geschlafen hatte, wenn sie Coco zur Schule brachte –, aber Richard sah immer gepflegt aus: frisch rasiert, gestärktes weißes Hemd, Jackett, schwarze Jeans, die grünen Augen leuchtend, das allmählich silbrig werdende Haar kurz um seinen wohlgeformten Kopf geschnitten. Ordnung aus dem Chaos schaffend.
Ihre Wohnung war auf Monatsbasis gemietet. Das Wohnzimmer diente auch als Ess- und Spielzimmer, außerdem für Richard als Büro, alles in einem. Die glanzvolle nagelneue Wohnung, mit der die Uni sie unter anderem geködert hatte, war noch nicht fertiggestellt.
»Coco und ich gehen dann direkt ins Plaza «, rief Liz. Sie machte in der Küche gerade Cocos Frühstück zurecht. »Ins Plaza« sagte sie in einem gekünstelt versnobten Ton, stolz und zugleich peinlich berührt davon, wie stolz sie auf ihre abendliche Unternehmung war. »Jake bleibt nach der Schule wahrscheinlich sowieso gleich in der Bronx, es ist also okay, wenn du länger arbeitest.« Als käme Richard je zu einer anständigen Uhrzeit nach Hause.
»Er ist kein kleines Kind mehr, Lizzie, er kommt schon zurecht«, erwiderte Richard.
»Wahrscheinlich besorgt er sich auf der Johnson Avenue was zum Essen oder hängt bei einem Freund ab, bis die Party anfängt«, vermutete Liz. Sie reichte auf Zehenspitzen zum Mikrowellenofen hoch, um die Tater Tots hineinzustellen: Cocos warmes Kartoffelbällchen-Frühstück.
Jakes Party fand in einer Stadtvilla in Fieldston, einem Stadtteil der Bronx, statt, so viel wusste Liz. Die Bronx ihres Sohnes war nicht ihre Bronx. »Marjorie meint, es ist auf jeden Fall eine Party mit Aufsicht, wo die Eltern es sich nicht nehmen lassen, die Punschbowle vorsorglich zu probieren.« Dies war Liz am Vorabend telefonisch von ihrer zuverlässigen Zehntklässler-Quelle versichert worden, einer wohlmeinenden Immobilienmaklerin/Mutter, die wie ein Wasserfall redete.
»Deep Throat«, bemerkte Richard, als sie ihm die Tater Tots und eine getoastete Waffel für Coco reichte. Die stopfte sich bereits Bio-Erdbeeren in Golfballgröße in ihr entzückendes kleines Mündchen.
»Deep Throat«, murmelte Liz. Wie jener ominöse Informant in der Watergate-Affäre. »Richard, passt perfekt.«
»Coco, was glaubst du, was du mich pro Jahr an Erdbeeren kostest?«, wollte Richard wissen. »Die Dinger kosten etwa sechs Dollar pro Kistchen, und sie verdrückt bestimmt eins am Tag, stimmt’s, Lizzie?«
»Daddy.« Cocos Lächeln war breit und pinkrosa vom Beerenmus.
»Mindestens ein Kistchen«, erwiderte Liz, »manchmal zwei, weil es Gott sei Dank nichts ›Weißes‹ ist.«
»Ich ess nichts ›Weißes‹«, sagte Coco.
»Bagels, Nudeln, Waffeln«, zählte Liz Cocos Lieblingsgerichte auf. »Klöße.«
»Tater Tots«, krähte Coco und hielt triumphierend eine Krokette hoch. »Die sind braun.«
»Tatsächlich«, bestätigte Richard, wobei er die dunkelsten herauspickte und sich selbst in den Mund steckte.
Er hörte mit halbem Ohr zu, während Liz ihre Ängste und Bedenken bezüglich des bevorstehenden Abends äußerte: Was soll ich anziehen? »Hippie-Chic?«, schlug Richard vor. Sollten wir so eine protzige Einladung überhaupt annehmen? »Wieso nicht? Ihr werdet euch bestimmt toll amüsieren.« Es war Teil ihrer täglichen Routine, dass er beruhigend auf sie einredete und gleichzeitig einen Blick auf die Schlagzeilen der New York Times warf. Ab und zu half Richard Coco auch bei ihren »Mathe-Hausaufgaben«, indem er noch mehr von ihren Tater Tots verspeiste. »Zwei minus eins ist … eine bärenhungrige Coco«, sagte Richard. Nebenher mixte er am anderen Tischende seinen Frühstücksshake zusammen: Bananen, Erdnussbutter, Proteinpulver, grünen Tee – »grün wie deine Augen«, sagte Liz, als er ihn zum ersten Mal mit nach Hause gebracht hatte. Er verströmte eine Aura von Kompetenz. Richard – der selbstreinigende Ofen. Und gegen die Macht seines attraktiven Aussehens war Liz auch nach all den Jahren noch nicht immun.
»Eine von den Müttern hat gefragt, ob ich beim Organisationskomitee für das Multikulti-Festival nächsten Herbst mitmache – was meinst du, soll ich?«, fragte Liz.
Wildwood war stolz auf seine »Diversität«, mit ein Grund, weshalb sie und Richard sich letztes Jahr für diese Schule entschieden hatten. In Cocos Klasse gab es noch fünf weitere asiatische Mädchen, einen afroamerikanischen Jungen, einen Jungen
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