Die Zerbrechlichkeit des Gluecks
Wildwood-Fundraiser-Kampagne ihre Zielmarke erreicht hatte und man mit dem Bau eines neuen Schulgebäudes beginnen konnte. Liz war zum Abholen noch früh dran und brannte darauf zu erfahren, ob für Coco alles glatt gelaufen oder ob es ein Misttag gewesen war. Für alle war der Umzug nach Manhattan ein großes Auf und Ab gewesen. Außer für Richard.
Liz wusste jedoch aus Erfahrung: Wenn all die ruhige, konzentrierte Energie, die er in den letzten Monaten gezeigt hatte, sich in die Emotionen eines ganz normalen Menschen übertragen ließe, sähe das Ergebnis nach gespannter Unruhe aus.
»Die haben dir ein Angebot gemacht, das du nicht ablehnen kannst«, hatte Liz im vergangenen Jahr an einem schwer duftenden, schwülen Sommerabend in Ithaca gesagt, nachdem sie gerade Sex gehabt hatten und barfuß auf ihrer Veranda saßen. Sie tranken Bier und unterhielten sich über die Vor- und Nachteile des Jobs, während ihre Kinder drinnen sanft schlummerten. Es war offensichtlich, wie sehr er ihn hatte haben wollen.
»Es ist nicht mehr die Stadt, in der du aufgewachsen bist«, hatte Richard gesagt, wie um sie zu beruhigen.
An dem Gedanken hatte sie sich festgehalten.
»Denk bloß an all die Museen und Galerien«, sagte er.
Damit hatte er recht gehabt, dachte Liz, während sie auf Coco wartete – die Upper East Side in diesem neuen, vom Geld geprägten Jahrhundert war überhaupt nicht das New York, in dem sie aufgewachsen war. Hyazinthen in knallbunten Farben blühten in den Blumenkästen der Stadtvillen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Kirschblüten weinten schneezarte Blättchen im leisen Wind. Es war schon ein himmelweiter Unterschied zwischen dem Treppenabsatz, auf dem sie nun saß, und den Bänken, auf denen sie in Sektion fünf von Co-op City herumgelungert war, jener seelenlosen Mittelschicht-Mietskaserne, wo Liz sich in ihrer ziemlich turbulenten Jugend im Wind der Langeweile gedreht hatte. Die grauen Wohntürme und windgepeitschten Gehwege, die Einkaufszentren und Parkgaragen, die Basketballplätze ohne Basketballnetze – wie mit Kettenschlössern abgesperrte Gefängnishöfe –, wo die Jungs den ganzen Nachmittag spielten, die mit Hemd gegen die ohne Hemd, bevor sie einen dann später am Abend in irgendeinem nasskalten, stinkenden Treppenhaus befummelten. Der absolut spärliche Baumbestand. Dieses harte, erbarmungslose Betonuniversum, das sie in ihrer Erwachsenenwelt entschieden ableugnen würde und in dem ihre Kinder nicht aufwachsen würden.
Mit geschlossenen Augen vernahm Liz das Geschnatter der anderen Mütter im Hintergrund, so wie früher das tsch-tsch-tsch der Rasensprinkler, wenn sie neben dem Schulsportplatz in Ithaca in der Abholschlange im Auto saß und wartete, bis ihre Sprösslinge beim letzten Läuten herausgerannt kamen.
Liz hatte das alles so geliebt: das Landleben, den schützenden Kokon ihres Wagens, während die Musik lief. Gefühlvolle Songs von Lucinda Williams, Yo-Yo Mas Cello, Filmmusik von Ennio Morricone aus sämtlichen Spaghettiwestern von Sergio Leone. Die CD von Morricone hatte letztes Jahr den Weg in ihren Chanukka-Strumpf gefunden, zusammen mit einem hübschen karneolroten Armreif, und witzigerweise hatte auch ein Klümpchen Kohle im großen Zeh gesteckt. Ach, die Wohltaten und Kompromisse einer Mischehe! Yo-Yo Mas Cello war so berückend schön, dass es ihr Inneres mächtig anzurühren vermochte. Sie kam immer etwas früher an und parkte, bloß um die Musik noch ein wenig länger zu genießen. Liz ließ sich Zeit mit dem Abholen oder blieb am späteren Nachmittag vor der Dewitt Middle School im Auto sitzen, bis Jakes Fußballtraining zu Ende war. Neben ihr auf dem Beifahrersitz lag immer ein Päckchen mit gesunden Snacks – knackige, rotbackige Äpfelchen und Gurkenscheiben oder Sandwiches mit Erdnussbutter und Banane auf weichem Weißbrot – und harrte darauf, dass die Kinder sich darüber hermachten. Alles selbst gemacht, von lokalen Erzeugern, aus biologisch kontrolliertem Anbau. (Nun ja, die Erdnüsse stammten zwar nicht aus der Gegend, waren aber im örtlichen Bio-Laden zu Mus gestampft worden. Das Brot wurde ebenfalls dort gebacken, direkt im Laden.) Mit diesem fröhlich-lässigen Mix aus nahrhaften, gesunden Lebensmitteln fühlte Liz sich mütterlich, nährend, treusorgend, engelsgleich sozusagen. Der Kombi war wie ein kleiner Wohnwagen für sie und die Kinder, und sie hatte diese Zurückgezogenheit und Ungestörtheit sehr genossen. So war das Leben in Ithaca,
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