Die Zerbrochene Kette - 6
… er liebt Jalak nicht mehr als ich. Wie langsam diese Nacht vergeht…
Sie fuhr zusammen, jeder Nerv in ihrem Körper prikkelte.
Was war das für ein Geräusch? Im nächsten Augenblick flog die Tür krachend nach innen, und sofort war der Raum voll von… von Frauen? Jalak wachte mit Gebrüll auf, faßte nach seinem Schwert, das Tag und Nacht griffbereit neben ihm lag, und rief nach den Wachen… ein Ruf, der ohne Antwort blieb. Schon auf den Füßen, rief er noch einmal. Nackt sprang er die erste Frau an, die auf ihn eindrang. Rohana, die jetzt mit ihren eigenen Augen sah, obwohl sie Meloras Gedanken Wo sind die Wachen? teilte, beobachtete, wie die Amazonen ihn gegen die Wand drängten, wie er hinter einem Wall aus Frauen verschwand, die mit ihren Messern zustachen, wie Kindra ihm weit ausholend die Sehnen in den Kniekehlen zerschnitt. Er fiel heulend, um sich schlagend. Danette kniete mit großen Augen aufrecht im Bett und kreischte.
»Garris! Garris! Nimm sein Schwert! Das sind nur Frauen …«
»Bring diese Hure zum Schweigen«, sagte Kindra, und Camillas rauhe Hände erstickten Danettes Geschrei mit einem Kissen. Garris hatte sich hochgesetzt und blickte mit böser Freude auf den sich windenden, heulenden Jalak nieder…. Rohana riß einen pelzbesetzten Mantel vom Fußende des Bettes, warf ihn über Meloras dürftiges Nachtgewand. »Komm – schnell!«
Rohana zog Melora eilig in den stillen Garten hinaus. Er war so friedlich, daß es ihr den Atem benahm. Springbrunnen sprudelten, Bäume rauschten ungestört im Wind. Kein Laut, kein Licht verriet, daß irgendwo innerhalb des Großen Hauses acht oder zehn von Jalaks Kämpfern und vielleicht auch Jalak selbst tot dalagen.
Kein Mann außer Jalak hatte Gelegenheit gehabt, einen einzigen Streich zu führen. Der aber war in Niras Oberschenkel gegangen. Sie hinkte und stützte sich schwer auf Camillas Arm. Lori kam, bückte sich, verstopfte die Wunde provisorisch mit ihrem Taschentuch und band das Bein hastig mit dem Gürtel ihrer Jacke ab. Leeanne tauchte aus der Dunkelheit auf. In ihren Armen trug sie eine kleine Gestalt in einem langen Nachthemd. Sie stellte das Mädchen auf die bloßen Füße, und in dem trüben Licht erhaschte Rohana einen Blick auf ein überraschtes, verschlafenes Gesichtchen.
»Mutter…?«
»Es ist alles gut, mein Liebling, das sind meine Verwandten und unsere Freunde«, erklärte Melora in singendem Tonfall.
»Könnt Ihr gehen, Lady? Wenn nicht, werden wir
Euch irgendwie tragen…«
Der Schmerz stach ihr wie mit Messern in Seite und
Rücken, das ungeborene Kind zerrte an ihr, aber es
kümmerte sie nicht. Frei. Ich bin frei. Jetzt könnte ich
glücklich sterben. Aber ich darf nicht sterben und sie aufhalten…
Der verlassen daliegende Marktplatz war eine Wildnis aus leeren Ständen und Buden. Rima und Devra
tauchten aus der Dunkelheit auf, nahe der Stelle, wo die
Pferde warteten. »Das Tor ist frei«, meldete Rima mit
bedeutungsvoller Geste – einen Finger über die Kehle
ziehend.
»Dann kommt. Laßt alles liegen bis auf eure eigenen
Satteltaschen und die Lebensmittel für die Reise.« Kindra führte Melora zu einem Pferd. »Bevor Ihr aufsteigt,
domna, zieht diese Sachen an. Auch wenn sie Euch nicht
gut passen werden, eignen sie sich zum Reiten doch besser als dies Nachtgewand.«
Rohana streifte Melora im Schutz der Dunkelheit das
Nachthemd über den Kopf, half ihr in eine lange, weite
Hose, band sie ihr um die Taille fest, zog ihr eine pelzgefütterte Jacke an. Melora nahm den schwachen Duft in
dem Stoff wahr und hätte vor Wiedersehensfreude und
Dankbarkeit am liebsten geweint. Das war der Duft
nach Gewürzen und Weihrauch, mit dem in jedem Haus
der Domänen die Luft parfümiert wurde. Sie unterdrückte ein Schluchzen und ließ sich von Rohana in den
Sattel helfen. Nun steckte Rohana ihre Füße noch in –
viel zu große – Wildlederschuhe.
Ängstlich sah sich Melora nach Jaelle um und entdeckte, daß eine der Amazonen sie in einen Mantel wikkelte und hinter sich in den Sattel hob.
Kindra ergriff die Zügel von Meloras Stute. »Haltet Euch im Sattel, so gut Ihr könnt, Lady, ich werde das Pferd führen.« Melora hielt sich am Sattelknopf fest (wie seltsam, nach so vielen Jahren wieder im Herrensitz zu reiten!) und verbiß den Schmerz, den ihr die Bewegung verursachte. Kindra nahm sie mit sich an die Spitze der kleinen Truppe. Mit leiser, angespannter Stimme sagte sie: »Nun reitet alle wie der Teufel. Vielleicht haben wir ganze fünf
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