Die Zerbrochene Kette - 6
Traum ist, daß ich nicht in Jalaks Bett erwachen werde.«
Die körperliche Berührung von Meloras angeschwollenen Händen und ihrem tränennassen Gesicht stellte den Rapport wieder her. Meloras Geist lag offen vor Rohana, und mehr: quälendes Unbehagen, Schmerz. Angstvoll fragte sich Rohana: Kann sie reiten? Wird sie hier in der Wüste Wehen bekommen, weit entfernt von jeder Hilfe, wird sie uns aufhalten…?
Sanft löste Melora die Hände ihrer Verwandten, und der Kontakt schwächte sich ab. »Man merkt gleich, daß du wenig über die Trockenstädte weißt. Mögest du nie mals Gelegenheit haben, mehr zu erfahren! Von mir wäre verlangt worden zu reiten, auch wenn ich meiner Zeit noch näher wäre. Mach dir keine Gedanken über mich, breda. Ihre Stimme brach in Schluchzen. »Oh, es tut so gut, mit dir in unserer eigenen Sprache zu reden…«
Rohana machte sich verzweifelte Sorgen um sie. Sie verstand nicht viel von Geburtshilfe, doch als Herrin von Ardais war sie bei vielen Geburten zugegen gewesen und wußte, Melora brauchte Ruhe und Pflege. Dabei stiegen die Amazonen auf Kindras Zeichen hin bereits wieder auf, und es blieb ihnen ja auch wohl nichts anderes übrig.
Kindra kam und sah sich kurz Niras bandagierte Wunde an.
»Bisher gibt es kein Zeichen von einer Verfolgung, aber bei Tagesanbruch wird man Jalak bestimmt finden – oder seine Leiche. Und ich bin gar nicht wild darauf, gegen Jalaks Männer zu kämpfen oder mein Leben angekettet in einem Bordell von Shainsa zu beenden.«
Meloras Lächeln war sogar in dem schwachen Licht zu erkennen. »Es kann durchaus sein, daß wir überhaupt nicht verfolgt werden. Höchstwahrscheinlich haben Jalaks Erben ihn tot aufgefunden und streiten bereits über sein Eigentum und seine Frauen und die Herrschaft über das Große Haus. Sie hätten nicht das geringste Interesse daran, einen Sohn von ihm zurückzuholen, der einen legitimen Anspruch erheben könnte!«
»Aldones gebe es«, erwiderte Kindra. »Immerhin könnte ein Verwandter Jalaks kihar suchen, indem er ihn rächt – oder irgendein Rivale mag dafür sorgen wollen, daß kein Sohn, der einen legitimen Anspruch stellen könnte, ihn überlebt.«
Melora drückte krampfhaft Rohanas Hände, doch ihre Stimme klang ruhig. »Ich kann so weit reiten, wie ich muß.« Ihr Blick wanderte zu ihrer schlafenden Tochter. »Darf ich sie zu mir aufs Pferd nehmen?«
»Lady, Ihr seid schwer; Euer Pferd sollte keine zweite Person tragen«, meinte Kindra. »Diejenigen von uns, die am leichtesten reiten, werden sie abwechselnd zu sich nehmen, damit sie ein bißchen länger schlafen kann. Hat sie das Reiten gelernt? Wir haben ein übriges Pferd für sie, wenn sie fähig ist, sich allein im Sattel zu halten.« »Sie konnte fast ebenso früh reiten wie laufen, mestra.«
»Dann wird sie ein eigenes Pferd bekommen, sobald sie aufwacht; lassen wir sie vorerst noch schlafen.« Damit hob Kindra die ruhig weiterschlafende Jaelle in ihren eigenen Sattel und stieg auf, während Rohana ihrer Cousine half. Melora war schrecklich unbeholfen und schwankte im Sattel, aber Rohana sagte nichts. Es gab nichts zu sagen; Kindra hatte recht, und das wußten sie beide. Mit ihren eigenen Zügeln ergriff Rohana auch die von Meloras Pferd, um es durch die Wüste zu führen.
Melora sah verlangend der aufgehenden Sonne entgegen. »Zu dieser Stunde sehne ich mich immer nach – oh, ich weiß nicht – nach Schnee oder Regen, nach irgend etwas anderem als dem ewigen Sand und dem heißen, trockenen Wind.«
Rohana sagte leise: »Wenn die Götter wollen, breda, wirst du innerhalb von zehn Tagen wieder in unsern Bergen sein und den Schnee bei jedem Sonnenaufgang sehen.« Melora lächelte, doch sie schüttelte den Kopf. »Ich kann mein Pferd jetzt selbst lenken, wenn du das für besser hältst.«
»Laß es mich lieber führen, wenigstens noch für eine Weile«, antwortete Rohana. Melora nickte, lehnte sich im Sattel zurück und ertrug die Bewegung des Tieres, so gut es gehen wollte.
Die Sonne ging auf, und während Meile auf Meile unter den Hufen der Pferde verschwand, sah Rohana, daß der Charakter der Landschaft sich veränderte. Die fla che, unfruchtbare Sandwüste war niedrigen, welligen Hügeln gewichen, die sich erstreckten, so weit das Auge reichte, und der Boden war mit verkrüppelten Dornbäumen und grauen, federigen Gewürzbüschen bedeckt. Anfangs war der Geruch angenehm; nach ein paar Stunden meinte Rohana jedoch, sollte sie jemals wieder beim Mittwinterfest
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