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Die Zeugin

Die Zeugin

Titel: Die Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brown Sandra
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vorstellen?«

47. Kapitel
    Â»Das ist nicht so einfach zu erklären.«
    Â»Versuch’s trotzdem.«
    Sie und John waren allein im Büro. Ricki Sue hatte den wahren Kendall Deaton bei der Hand gepackt und ihn auf den Korridor geschleift. Er verlangte immer noch lautstark nach einer Erklärung, die sie ihm auch zu geben versprach, sobald er endlich einmal sein Maul halten und sie ein paar Worte sagen lassen würde. Pepperdyne und die Marshals waren den beiden nach draußen gefolgt.
    Â»Kendall war Anwalt bei Bristol und Mathers«, begann Johns Gefährtin der letzten Wochen. »Er bekam Ärger mit den Seniorpartnern, als die Staatsanwaltschaft ihm vorwarf, Beweismaterial veruntreut zu haben. Die Anschuldigung wurde nie bewiesen, aber alle waren sicher, daß er irgendwie gegen den Anwaltskodex verstoßen hätte. Er wurde nicht angeklagt, aber entlassen.
    Danach schickte er monatelang Bewerbungen raus, aber niemand war an einem Anwalt mit einem solchen Fleck auf der Weste interessiert. Kendall verlor schließlich den Mut und beschloß, sich für einige Zeit nach Europa abzusetzen. Er bat mich, seine Post nachzuschicken.
    Ein paar Monate nach seiner Abreise kam ein Brief aus Prosper, South Carolina. Weil es ganz nach einer Antwort auf seine Bewerbung aussah, schickte ich ihm den Brief augenblicklich nach. Er rief mich an, dankte mir und bestätigte, daß es tatsächlich ein Stellenangebot, er aber nicht interessiert sei. Der fröhliche Junggeselle in Rom arbeitete als Rechtsberater in einer
Marketing-Firma und hatte keine Lust zurückzukommen. Da beschloß ich, mein Glück zu versuchen.«
    Sie sah ihn an, hoffte auf Verständnis, doch John ließ sich keinerlei Gemütsbewegung anmerken. »Ich hatte den drittbesten Abschluß meines Jahrgangs, John, war die beste neue Kraft bei Bristol und Mathers, aber man überließ mir immer nur den Ausschuß. Ich spürte keinen Funken Interesse, fühlte mich unterfordert  – bis zu dem Fall, von dem ich dir erzählt habe, der Aids-Kranken, die dringend meine Hilfe brauchte.
    Da wurde mir klar, daß ich in einer großen, gewinnorientierten Kanzlei fehl am Platz bin. Ich wollte den Menschen beistehen, wollte den Rechtlosen zu ihrem Recht verhelfen. Also begann ich, mich in jenen Bundesstaaten zu bewerben, in denen es Pflichtverteidiger gibt, allerdings ohne eine positive Antwort zu erhalten. Als Kendall das Angebot in Prosper ausschlug, kam mir das wie ein . . . Zeichen vor.
    Großmutter und Ricki Sue hielten mich natürlich für verrückt, aber ich antwortete auf den Brief und gab mich dabei als Kendall aus. Es ist gar nicht so schwer, einen fremden Namen anzunehmen – allerdings bin ich inzwischen dahintergekommen, warum man Kendall Deaton in Prosper anstellte, ohne genauere Auskünfte einzuholen«, ergänzte sie trocken.
    Â»Man wollte eine erpreßbare Persönlichkeit«, sagte John.
    Â»Ganz genau. Der Schmutz auf seiner Weste sagte ihnen besonders zu. Anfänglich waren sie ziemlich reserviert, weil ich eine Frau war. Doch wahrscheinlich kamen sie nach genauerer Überlegung zu dem Schluß, daß eine Frau noch leichter zu beeinflussen sei. Oder zu verletzen.«
    Sie dachte kurz nach und fuhr dann fort: »Vielleicht waren meine Motive, Pflichtverteidigerin zu werden, gar nicht so altruistisch, wie ich den Leuten gern weisgemacht hätte oder persönlich gern glauben wollte. Vielleicht war ich einfach nur
eingebildet. Ich wollte es allen beweisen, allen zeigen, wie schlau ich bin, wollte meinen Eltern gefallen . . . ein unmögliches Unterfangen, wie das Gespräch mir gezeigt hat, das ich damals mit dir führte.
    Jedenfalls habe ich mich letzten Endes möglicherweise selbst betrogen, weil meine Motive nicht so uneigennützig waren, wie ich dachte. Großmutter hat mich gewarnt, daß eine Lüge zu nichts Gutem führen könne. Sie hat recht behalten.«
    Sie setzte sich auf die Ecke von Pepperdynes Schreibtisch. Kevin schlief in seiner Kinderwippe. Sie hörte Johns inzwischen vertrauten Gang, das Wechselspiel von Krücke und Fuß.
    Er trat hinter sie, streckte die Hand aus und gab der Wippe einen leichten Stoß, so daß sie sanft zu schaukeln begann. Er streichelte Kevins Wange. Ihr ging das Herz auf, als sie seinen braunen Männerfinger an Kevins zarter Haut sah. Denn das bewies nicht nur, wie lieb er das Baby gewonnen hatte,

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