Frauenbataillon
1. Teil
Er hatte ihn nicht kommen sehen, auch gehört hatte er ihn nicht. Leise, hinterhältig und heimtückisch, als steckten seine Tatzen in mit Gänsedaunen gefüllten Säcken, war das verfluchte Biest an ihn herangeschlichen. Erst als es sich hoch aufrichtete, den dicken, runden Kopf in den Nacken legte, ein dumpfes, grollendes Gebrüll ausstieß und der heiße Atem sein Genick streifte – erst da begriff er, daß er den stundenlangen Zweikampf verloren hatte.
Niemand hätte behaupten können, daß Pjotr Herrmannowitsch Salnikow jemals ein furchtsamer Mensch gewesen wäre. Als er im Jahre 1946 mit seiner jungen Frau Stella Antonowna in Nowo Kalga auftauchte, ein fröhlicher Bursche, der in die Hände spuckte und sagte: »Jetzt fängt das Leben erst richtig an!«, als er begann, ein Haus zu bauen und daranging, ein Stück Taiga zu roden, um selbst für sein täglich Brot sorgen zu können, da wußte man gleich in der kleinen Siedlung: Das ist ein Kerl, der nicht an unseren Wintern zerbricht, wie manche Bäume, die der Frost mit lautem Krachen auseinandersprengt.
Und so war es auch. Pjotr Herrmannowitsch, damals ein achtundzwanzigjähriger Mann mit wachen blauen Augen, kräftigen Muskeln und fröhlichem Gemüt, baute sich einen schönen Hof am Rande von Nowo Kalga, verdingte sich als staatlicher Jäger, durchstreifte die Taiga, schoß Schneehasen und Nerze, Zobel und Füchse, Wölfe und Bären und legte eine Biberzucht an und wurde sogar in den Kreissowjet gewählt. Dort gelang es ihm, dank seiner Beredsamkeit, für Nowo Kalga immer wieder Sonderzuteilungen an Textilien, Schuhen und Elektrogeräten herauszuholen, und an Staatsfeiertagen – zum Beispiel an Lenins Geburtstag oder am Tag der Oktoberrevolution – zeichnete er für Umzüge und Paraden der Werktätigen und Bauern und die Ausschmückung des Parteihauses verantwortlich.
Ein schönes, fleißiges Paar waren sie, Pjotr und Stella Antonowna. Das Frauchen begnügte sich beileibe nicht damit, den Garten zu bestellen, die erjagten Felle anzugerben und zwei Kinder – einen Jungen und ein Mädchen – zu gebären. Sie baute im Haus einen Raum aus und begann mit der Weberei. Zunächst arbeitete sie nur für die Nachbarn in Nowo Kalga, später dann lieferte sie sogar bis nach Sjuddjukar, dem nächsten größeren Ort am Flusse Wiljui, wo die einheimischen Jakuten die ihnen fremden altrussischen Muster bestaunten. Das Geschäft ging so gut, daß Stella Antonowna noch fünf Frauen einstellte, aus Jakutsk drei Webstühle kommen ließ und eine Art Fabrikation aufmachte. Das war schon ein riskantes Unterfangen. Allein der Transport der Webstühle von Jakutsk nach Nowo Kalga war ein Abenteuer für sich; schließlich kann man nicht einfach mit einem Lastwagen hinfahren und die Bestellung abliefern wie in Moskau oder Leningrad. Nowo Kalga liegt nördlich des Wiljui im fruchtbaren, waldreichen, oft sumpfigen Gebiet des ungebändigten Flusses Yayetta. Im Osten, Westen und Norden beginnt die große Einsamkeit, der unendliche Wald, der von der flachen Tundra und den Urfelsen des Wiljuisskij-Gebirges begrenzt wird. Wenn man die Leute von Nowo Kalga darauf anspricht, warum hier noch Menschen leben, erhält man erstaunliche Antworten. Begonnen hatte die Besiedlung bereits 1825, als in St. Petersburg der Dekabristen-Aufstand niedergeschlagen wurde und Zar Nikolaus I. nicht nur die Anführer der Revolte entweder hängen ließ oder nach Sibirien verbannte, sondern auch viele einfache Leute, vor allem Mittelständler, die der Revolte wohlwollend zugesehen hatten, in die Wildnis schickte. Die Geheimpolizei des Zaren räumte gründlich auf, und so kam auch Pantelej Maximowitsch Rubalki in das Gebiet von Yayetta, gründete eine Siedlung und nannte sie nach seinem Heimatort Kalga am Peipus-See Nowo Kalga. Mit Rubalki zogen noch sechs andere Familien in die grenzenlose Weite am Wiljui, freundeten sich mit den Jakuten an und erlebten eine absolute Freiheit, so als seien sie die einzigen Menschen auf dieser Erde.
Heute nun zählt Nowo Kalga genau 1.014 Köpfe, besitzt ein Sägewerk, die Weberei von Stella Antonowna, ein staatliches Magazin, eine Kolchose mit Namen ›Fortschritt‹, eine kleine Holzkirche, ein Parteihaus, eine geologische Forschungsstelle, zwei Schulen, ein Kulturhaus mit Theatersaal und ein kleines Krankenhaus unter der Leitung von Dr. Wiljam Matwejewitsch Semaschko.
Es war eine Pracht, diesem Ehepaar Salnikow zuzusehen, seinen Fleiß zu bewundern, zu bestaunen, wie
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