Die Zufalle des Herzens
satt.«
Dana warf Alder ein dankbares Lächeln zu. »Nach dem Abendessen gehe ich zu Polly, nur ein Stück die Straße runter«, erklärte sie ihnen. »Da treffen sich ein paar Leute.«
»Musst du dahin?«, stöhnte Morgan.
»Kann ich noch aufbleiben?«, fragte Grady.
»Also ›müssen‹ tue ich nicht, aber ich möchte gerne. Es ist einfach nett, ab und zu mal nur mit Erwachsenen zusammen zu sein.« Das kam nämlich seit ihrer Scheidung ausgesprochen selten vor. Sie hatte keinen Ehemann mehr, mit dem sie ausgehen konnte, und Einladungen von anderen Paaren hatten sich aus ebendiesem Grund ebenfalls verflüchtigt. Sich mit Frauen zu treffen, schien die einzige soziale Interaktion zu sein, auf die sie noch Anspruch hatte. »Und nein, du kannst nicht länger aufbleiben. Ich decke dich noch zu, bevor ich gehe.«
»Ich brauche aber Hilfe bei den Hausaufgaben«, beharrte Morgan.
»Bring sie in die Küche, dann spreche ich sie mit dir durch, während ich die Spülmaschine einräume.«
»Es ist Englisch. Du musst es lesen und dabei aufpassen.«
Dana seufzte. Selbst als Kenneth noch hier wohnte, wollte Morgan Dana ständig in ihrer Nähe haben – allerdings nicht unbedingt, weil sie sie für irgendetwas brauchte. Morgan verbrachte einen guten Teil ihrer Abende damit, ihren Freundinnen SMS zu schicken oder Shows wie America’s Next Top Model zu schauen. Aus Gründen, die keine von ihnen so ganz verstand, wollte Morgan ihre Mutter einfach im Haus wissen.
»Ich räume die Spülmaschine ein«, sagte Alder.
»Das ist wirklich lieb von dir«, sagte Dana, »aber das brauchst du nicht.«
»Macht mir nichts aus«, sagte Alder. »Außerdem wird unser Fleischballmann mir helfen, stimmt’s, G?«
»Was?« Grady war entsetzt. »Ich kann die Spülmaschine nicht einräumen.«
»Bring einfach das Geschirr vom Tisch her. Ich räume es dann ein.« Einen Moment lang sagte niemand etwas. Es war, als hätte Alder vorgeschlagen, mit ihnen hinten im Garten ein Großraumflugzeug zu bauen und nach Grönland zu fliegen.
»Muss ich nicht in die Badewanne oder so?«, fragte Grady verzweifelt.
»Mannomann«, murmelte Morgan. » Den Tag muss man im Kalender anstreichen.«
Alder, die schon aufgestanden war, nahm ihren Teller und das Besteck und wartete darauf, dass Grady es ihr nachmachte. Er schnaufte resigniert und folgte ihr. Morgan sagte, sie müsse noch aufs Klo, und danach ging sie in ihr Zimmer und wartete auf Dana. Die Englischhausaufgabe entpuppte sich als nicht so schwierig, aber Morgan war zappelig und reizbar, lutschte hörbar ihr Bonbon und stöhnte, sie habe kein Talent für Sprache. Einen netten Mutter-Tochter-Plausch konnte man das nicht nennen. Als sie fertig waren, murmelte Morgan: »Wie lange bist du weg?«
»Nicht so lang, Schätzchen. Und Alder ist ja da, wenn du irgendwas brauchst.«
Morgan kniff die Augen zusammen. »Heißt das, weil Alder da ist, gehst du jetzt häufiger weg?«
»Nein.« Oder vielleicht doch? Dana hatte noch gar nicht bedacht, dass Alders Anwesenheit auch gewisse Vorteile mit sich bringen könnte. Dabei war ihr positiver Einfluss bereits heute bemerkbar gewesen. Sie hatte Grady dazu gebracht, Fleisch zu essen – ein kleineres Wunder (wenn man die Hotdogs außer Acht ließ). Und sie hatte dafür gesorgt, dass er beim Aufräumen half.
»Sie ist nicht du, Mom«, sagte Morgan.
»Ich weiß, Liebling. Mach dir keine Sorgen.«
Dana schälte sich aus der zerknitterten Jeans und dem langärmeligen T-Shirt, dessen Ärmel jetzt mit Tomatensoße besprenkelt waren. Sie hatte sich bereits vorgenommen, zu Polly die leicht ausgestellte Jeans zu tragen – aber was dazu? Welches Oberteil wäre vorteilhaft und doch bequem – schick genug, aber nicht so schick, dass es gewollt aussah? Welche magische Bluse würde den trügerischen Duft der glücklichen, umtriebigen, klugen, witzigen Frau verströmen und zugleich die Tatsache verbergen, dass sie sich auch nach fast einem Jahr nur schwer mit ihrem Singledasein abfand, dass sie sich um ihre Kinder, vor allem um Morgan, Sorgen machte und dass sie manchmal aus unerfindlichen Gründen zu weinen anfing? Wo konnte sie diese vollkommene Bluse kaufen, und was würde sie kosten, falls sie sie fand? Jeden Betrag würde sie für ein solches Kleidungsstück zahlen. Sie würde ihren rechten Arm dafür hergeben.
Als Dana vor dem Flurspiegel ihren Schmuck zurechtrückte, entdeckte sie Alder, die im Fernsehzimmer auf dem Teppich saß und, ohne es anzusehen, ein Taschenbuch in
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