Die Zufalle des Herzens
›Ich bin nicht krank. Ich brauche nur eine kleine Auszeit.‹«
Sie wollte lieber allein sein als mit Morgan zusammen? , dachte Dana. Eine Welle fürsorglicher Wut überkam sie, was sie sich jedoch nicht anmerken ließ, wohl wissend, dass das Morgans Vermutungen nur bestätigen und sie sich dann noch schlechter fühlen würde. Dana musste sich selbst oft an der schwachen Hoffnung festklammern, dass ihr Leben doch nicht ganz so entmutigend war, wie es ihr vorkam. »Vielleicht hat sie heute einfach noch was anderes vorgehabt, mein Schatz«, gab sie zu bedenken.
»Wir sind doch keine Kindergartenkinder mehr, Mom.« Morgan stand auf und ging hinauf in ihr Zimmer. Dana ließ sie in Ruhe. Sie wusste, dass Morgan ein Schulbuch aufschlagen, sich darüberbeugen und sich so lange auf eine Seite konzentrieren würde, bis es auf der Welt nichts anderes mehr gab als Abbildung A und Paragraf B.
»Ich bringe Grady zum Training!«, rief Dana später zu Morgan hinauf. Sie lud Grady mitsamt seiner Ausrüstung in den Minivan und machte einen Umweg, um die Lasagne nebst Salat, Brot und Brownies bei den McPhersons abzugeben.
»Kannich ’m Auto lei’m?«, fragte der siebenjährige Grady, an seinem Mundschutz saugend.
»Was?« Dana hatte Mühe, alle Essensbehälter zu tragen. »Ein bisschen Hilfe wär nicht schlecht.«
Er riss sich den Mundschutz heraus. »Ich will nicht mit an die Tür. Da drinnen ist alles irgendwie so traurig . Und wenn ein Kind aufmacht, hasst es mich, weil mein Dad nicht krank ist und ich nicht warten muss, bis mir irgendeine Frau Essen bringt.«
Seufzend ging Dana zur Tür. Niemand machte auf. In dem Kühlbehälter mit der Aufschrift COMFORT FOOD stellte sie das Essen auf die Eingangsstufe und kehrte zu ihrem Auto zurück. Als sie schon fast wieder dort war, kam eine Frau in Jeans und T-Shirt mit einem Säugling auf der Hüfte heraus, sah auf den Kühlbehälter hinunter und dann auf die Straße. Für einen kurzen Moment traf sie Danas Blick und hob die Hand zu einer Geste des Dankes. Dana winkte zurück.
So jung … , dachte sie, als sie losfuhr.
Dana versuchte, so oft wie möglich bei Gradys Footballtraining zuzuschauen. Der Trainer war ihr nicht geheuer. Er brüllte die Schar schwer zu bändigender Zweitklässler an, als wären sie Anwärter für die Navy SEALS . So etwas war Dana nicht gewohnt. Davor war Grady hauptsächlich von erschöpften Vätern trainiert worden, die sich die Krawatte auszogen, während sie die Interstate 84 entlangbrausten, um rechtzeitig zum Training zu kommen. Sie hatten kein Interesse daran, anderer Leute Kinder anzubrüllen – das taten sie schon genug bei ihren eigenen. Sie wollten nur, dass die Kinder ein bisschen was dazulernten, ihren Spaß hatten und sich nicht gegenseitig verletzten.
Coach Roburtin – Coach Ro, wie die Kinder ihn nannten – vertrat eine weniger elementare Philosophie. Er betrachtete das Footballtraining auch als Konditionstraining für sich selbst und stürmte auf dem Feld umher, lief Runden mit den Jungs und machte Liegestütze. Wer nicht zuhörte, bekam einen Klaps auf den Helm, sodass der kleine Kopf wackelnd in die Schulterpolster sank – ein Anblick, bei dem Dana selbst der Nacken wehtat. Wie sie gehört hatte, war Coach Ro unverheiratet und kinderlos. Er war hier in der Stadt aufgewachsen und hatte früher für die Cotters Rock High Football gespielt. Jetzt war er Autoverkäufer im nahe gelegenen Manchester.
»Stelly! Wo ist Stelly? Beweg mal deinen Arsch hierher, mein Junge! Bist du zum Spielen oder zum Strümpfestricken hier?«
»Strümpfestricken« war für Coach Ro ein vager Sammelbegriff, der alles bezeichnete, was nicht zum Football gehörte. Ein Junge, unter dessen Trikot ein hellblaues T-Shirt heraushing, rannte zu ihm hin. Es war Gradys T-Shirt, das wusste Dana genau. Vor lauter Herumgebrülle hatte Coach Ro wohl keine Zeit gehabt, sich die Namen der Spieler zu merken! Vielleicht hatte er selbst zu oft einen Klaps auf den Helm bekommen. Dann ging ihr ein Licht auf: Stelly war die Abkürzung für Stellgarten.
»Gut, jetzt pass auf.« Er packte Grady an seinem Gesichtsgitter und stellte ihn neben den Quarterback. »Timmy nimmt den Snap an. Und gibt ihn an DICH weiter, und du wirst ihn NICHT fallen lassen. Du rennst zur Endzone, als hättest du FEUER unterm Hintern. Ist das klar?« Gradys Helm wippte auf und ab. »Ein JA will ich hören!«, blaffte der Trainer.
» JA !«, tönte es schrill aus Gradys Mund.
Dann ging das Spiel los,
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