Die Zufalle des Herzens
eine Erleichterung für Dana, die zurückblinzelte und ihre Nichte spielerisch an den Haaren zog.
Nachdem Dana ihre Kinder am nächsten Morgen in die Schule geschickt hatte, ging sie nach Alder sehen. Die schlief noch mit angezogenen Knien und schützend über die Brust gelegten Armen. Die zarte Haut unter ihren Augen war von einem schwachen Blauviolett, wie verblasste Hämatome. Sie sah aus, als hätte sie monatelang nicht gut geschlafen, und Dana wollte sie nicht wecken. Sie schrieb eine Nachricht auf einen Block, den sie noch von vor der Scheidung hatte. Am oberen Rand stand in poppiger Schrift DIE STELLGARTENS und rundherum wie eine Borte ihre Namen – Kenneth, Dana, Morgan, Grady. Das vermittelte zwar jetzt einen falschen Eindruck von Einheit, aber der Block war praktisch, und Dana brachte es nicht fertig, ihn wegzuwerfen.
»Gehe mit Polly walken, bin gegen zehn zurück. Cornflakes im Küchenschrank. Alles Liebe, D«, hieß es in der Nachricht.
Die Luft war trocken und kühl, ein typischer Oktobertag in New England, als Dana zügig ihre Einfahrt hinunterschritt. Sie und Polly waren nicht von Anfang an befreundet gewesen; sie hatten lediglich in derselben Straße gewohnt. Eines Morgens war Dana mit der kleinen Morgan im Buggy zu einem Spaziergang aufgebrochen und hatte genau in dem Moment Pollys Einfahrt gekreuzt, als diese mit schwingenden Armen und forschen Schrittes auf sie zukam, nachdem eine unzuverlässige Freundin sie versetzt hatte. »Kein Verlass«, hatte Polly geschnaubt, während sie ihr Tempo verlangsamt hatte, um ihren Schritt an Dana anzupassen. »Alles andere ist ihr wichtiger.«
Na ja , hatte Dana sich gedacht. Was kann an einer Walking-Runde schon wichtig sein? Natürlich hatte sie das nicht laut ausgesprochen. »Wie schade«, hatte sie nur gesagt und den Buggy etwas schneller geschoben, bemüht, sich dieser unerwarteten Einladung würdig zu erweisen. Sie hatte noch nicht lange in dem Viertel gewohnt, hatte ihre Stelle als Büroleiterin einer Anwaltskanzlei in Hartford aufgegeben und fühlte sich jetzt ohne ihre Freundinnen einsam und gelangweilt.
»Sie sind ganz schön schnell mit dem Kinderwagen«, hatte Polly gesagt. »Das Kind hat eine Zukunft in der Raumfahrt, wenn es jeden Tag so ausgefahren wird.«
Dana, in deren Kopf es vor Stolz knisterte, war dankbar für jedes Zeichen, dass sie etwas richtig gemacht hatte. Der Mutterschaft, fand sie, fehlten diese kleinen Gradmesser für Erfolg und Wertschätzung. Bei einem Teamtreffen gelobt, zu einem neuen Paar Ohrringe beglückwünscht oder von Kollegen zum Mittagessen eingeladen zu werden – so etwas passierte jetzt nicht einmal im Entferntesten. Sie fragte sich schon, ob sie als Mutter überhaupt gut genug war.
Wie mache ich mich? , hatte sie Klein-Morgan hin und wieder zugeflüstert. Bist du zufrieden, dass du mich angeheuert hast?
Bald war Dana Pollys zuverlässigste Walkingpartnerin geworden, und schließlich fingen sie an, sich abends zu treffen. Kenneth und Pollys Mann Victor hatten sich von Anfang an verstanden, und die vier aßen oft zusammen zu Abend, klagten sich gegenseitig ihr Leid über die harte Probe, auf die man als Eltern gestellt wurde, und schmunzelten über die Mätzchen exzentrischer Nachbarn. Von Jahr zu Jahr wurzelte ihre Freundschaft tiefer im festen Boden ihres Lebens. Als Kenneth zehn Jahre später die Scheidung einreichte, hatte es Polly und Victor fast ebenso hart getroffen wie Dana. Victors und Kenneths Freundschaft überdauerte; Polly schlug sich ganz offen auf Danas Seite. Was würde ich ohne sie machen? , überlegte Dana jetzt, als sie mit großen Schritten auf das Haus ihrer Freundin zuging.
Polly kam ihre Einfahrt herunter und ließ dabei die Arme kreisen, als übte sie das Rückenschwimmen. »Was für ein Tag!«, rief sie. Obwohl sie fünfzehn Zentimeter kleiner war als Dana und durch die Feinheit ihrer Gesichtszüge wie eine Elfe wirkte, war sie eine zähe, kleine Walkerin, die ihr gemeinsames Tempo bis an die Grenze des Angenehmen steigerte. Wenn es bergauf ging, stellte Dana Polly gerne eine philosophische oder anderweitig komplizierte Frage. Sollte Polly doch reden. Nur so konnte Dana vermeiden, ins Keuchen zu geraten.
»Und wie läuft’s so auf der Middle School?«, fragte Polly. »Hat sich Morgan eingelebt?«
»Mehr oder weniger«, sagte Dana. »Hat Gina mal Ms Cripton gehabt?«
»Kryptonit?«, sagte Polly, deren kurzes schwarzes Haar im Rhythmus hüpfte. »Ja, die ist furchtbar. Gina konnte
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