Die Zufalle des Herzens
er. »Wenn das Leben anfängt, Faustschläge zu verteilen, ist nämlich nichts wichtiger als eine ordentliche Zahnhygiene.«
Er hat recht , dachte sie. Ich sollte mich besser um mich kümmern. Mehr Sport treiben. Doch dann sah sie sein mitfühlendes Lächeln. Natürlich machte er nur Spaß. Auch wenn sie nach wie vor Zahnseide benutzte, die Spülmaschine einräumte und Muffins für die Klassenfeste ihrer Kinder backte, wusste Dana, was anders war als vorher. Sie hatte sich immer leichtgetan, über die Scherze anderer zu lachen, ihnen das Gefühl zu geben, komisch zu sein, auch wenn sie es gar nicht waren. Jetzt dagegen schien sie die Pointe nicht einmal verstanden zu haben.
An diesem Nachmittag stieß Dana mit ihrem Minivan rückwärts aus der Einfahrt hinaus, während Grady auf dem Rücksitz zur Musik seines nicht gerade altersgemäßen Lieblingssenders mit dem Kopf wippte. »Getcha, getcha down on the floor, beggin’ for more …«, rappte der Sänger über die Synthesizerperkussion hinweg. Dana hoffte, dass ihr Zweitklässler in Wirklichkeit nicht wusste, was er da hörte.
Im Rückspiegel entstand plötzlich Bewegung. Etwas Großes – ein Auto? – kam hinter ihr zum Stehen und blockierte die Einfahrt. Da sie im Spiegel alles seitenverkehrt sah, schlug sie erst in die falsche Richtung ein und riss dann den Lenker herum, wobei Grady sich den Kopf am Fenster anstieß. »Au!«, schrie er, obwohl er einen Football-Helm aufhatte.
Dana stieg auf die Bremse und wandte sich ruckartig auf ihrem Sitz um. »Ist dir was passiert?«
»Nö«, murmelte er, während er sich den Ellbogen rieb, einen der wenigen ungepolsterten Körperteile.
Dana blickte durchs Heckfenster und sah, dass neben ihrem umgefallenen Briefkastenständer eine orangefarbene Rostbeule stand.
»Scheiße!«, knurrte der Fahrer, dessen Gesicht von einem Vorhang aus pechschwarzem Haar verdeckt wurde, wütend durchs offene Fenster.
Das war Dana erst einmal nicht geheuer. Ein fluchender Fremder war auf ihr Grundstück gerast. Sollte sie überhaupt aussteigen? Doch Grady war schon dabei, zur Seitenschiebetür hinauszuklettern und sich wie üblich in Gefahr zu stürzen. Dana stieg hinter ihm aus.
»Du blödes Stück Scheiße!«, fauchte die Fahrerin – es war nämlich eine Frau – ihr Auto an. Allem Anschein nach unternahm sie gerade den Versuch, durch heftiges Rütteln das Lenkrad von seiner Metallsäule zu lösen. » Ahhh! Mein Leben ist einfach zum Kotzen .« Ihr Gesicht konnte Dana immer noch nicht richtig sehen, die Stimme kam ihr jedoch bekannt vor …
»Alder?«, sagte Grady, an das dreckige Auto gelehnt.
Danas Nichte sackte in sich zusammen, resigniert ließ sie die Schultern sinken. »Hey, G«, murmelte sie.
»Alles in Ordnung, Alder?«, fragte Dana unnötig aufgeregt und griff nach der Tür. »Tut dir was weh, Liebes? Komm, lass mich mal …« Sie nahm Alders Ellbogen, während das Mädchen sich aus dem Inneren des Autos mit der zerschlissenen Vinylverkleidung herausschälte. Alders graues T-Shirt war mit dem undeutlichen roten Umriss eines Gebäudes bedruckt, das von Flammen verzehrt wurde. Dazu in gekritzelten Buchstaben der Schriftzug FACKEL DIE BUDE AB .
Dana umarmte sie, und Alder ließ es geschehen. Über ein Jahr war es her, dass sie sich zuletzt gesehen hatten. August , besann sich Dana. Mas Beerdigung . Der Unterschied in Alders Erscheinung war verblüffend. Ihr rötlich braunes Haar war schwarz gefärbt und ihre Kleidung düsterer, als Dana sie je an ihr gesehen hatte. Alder hatte immer einen vielfarbigen, eklektischen Stil gehabt. Unkonventionell, aber reizvoll. Jetzt dagegen hatte sie plötzlich etwas Zerbrechliches an sich, so untypisch für das handfeste, aufrechte Mädchen, das Dana immer bewundert hatte.
»Kann ich bei euch wohnen?«, fragte Alder, als sie die Einfahrt hinaufgingen. Dana entgleiste das besorgte Lächeln.
»Ja!«, jubelte Grady. »Na klar! Stimmt’s, Mom? Stimmt’s?«
Alder gab ihm einen leichten Schubs, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Er stieß sich ab, um extra weit zu fallen, und als er landete, schlugen seine Schulterpolster klappernd aneinander. »Oh Mann!« Lachend lag er im Gras. »Das ist der Hammer!«
Mit einem Glas zuckerfreie Limonade ließ Dana ihre Nichte in der Küche zurück und brachte Grady zum Training. Auf dem Rückweg rief sie ihre Schwester an.
»Ich hätte wissen müssen, dass sie zu dir fährt«, murmelte Connie. »Sie hat wieder die Schule geschmissen.«
»Die … äh
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