Die Zufalle des Herzens
Morgan.
»Ich weiÃ, Liebling. Mach dir keine Sorgen.«
Dana schälte sich aus der zerknitterten Jeans und dem langärmeligen T-Shirt, dessen Ãrmel jetzt mit TomatensoÃe besprenkelt waren. Sie hatte sich bereits vorgenommen, zu Polly die leicht ausgestellte Jeans zu tragen â aber was dazu? Welches Oberteil wäre vorteilhaft und doch bequem â schick genug, aber nicht so schick, dass es gewollt aussah? Welche magische Bluse würde den trügerischen Duft der glücklichen, umtriebigen, klugen, witzigen Frau verströmen und zugleich die Tatsache verbergen, dass sie sich auch nach fast einem Jahr nur schwer mit ihrem Singledasein abfand, dass sie sich um ihre Kinder, vor allem um Morgan, Sorgen machte und dass sie manchmal aus unerfindlichen Gründen zu weinen anfing? Wo konnte sie diese vollkommene Bluse kaufen, und was würde sie kosten, falls sie sie fand? Jeden Betrag würde sie für ein solches Kleidungsstück zahlen. Sie würde ihren rechten Arm dafür hergeben.
Als Dana vor dem Flurspiegel ihren Schmuck zurechtrückte, entdeckte sie Alder, die im Fernsehzimmer auf dem Teppich saà und, ohne es anzusehen, ein Taschenbuch in der Hand hielt.
»Ich bleibe nicht allzu lange weg. AuÃerdem bin ich nur ein paar Häuser weiter.«
»Okay«, sagte Alder, ohne aufzublicken. »Hübsche Bluse.«
Dana schlüpfte, wie sie es immer tat, durch die Seitentür in Pollys Haus. Als sie mit einer Flasche Merlot in der Hand das Wohnzimmer betrat, bemerkte sie zuerst niemand, und das verunsicherte sie. Polly war ihre engste Freundin in Cotters Rock. Natürlich hatte sie andere Freundinnen â ehemalige Mitbewohnerinnen aus dem College, alte Kolleginnen, mit denen sie sich immer noch hin und wieder zum Mittagessen traf. Diese Frauen kannte Dana viel länger. Aber zu Polly hatte sie den besten Draht.
Und das machte Polly vermutlich zu ihrer besten Freundin, obwohl Dana sie nur zögerlich mit dieser Bezeichnung bedachte. SchlieÃlich hatte Polly mit ihrem hitzigen Gemüt und dem bewundernswerten Talent, sich nichts aus dem zu machen, was die Leute sagten, haufenweise Freundinnen in Cotters Rock. Viele befanden sich genau in diesem Raum. Und nicht einer von ihnen fiel zufällig Dana auf, die in einer graugrünen Bluse, der besten, mit der sie für diese Gelegenheit aufwarten konnte, in der Tür stand.
»Da bist du ja!«, sagte Polly, während sie um eine gröÃere Frau herumging. Sie umarmte Dana fest und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dana reichte ihr den Merlot, worauf Polly grinste. »Gott sei Dank!«, flüsterte sie. »Du weiÃt, wie sehr ich diesen beschissenen Chardonnay hasse, den alle mitbringen.«
Die Unterhaltung zwischen den Frauen bewegte sich von Politik (konnte dieses bornierte Mitglied des Schulausschusses jetzt endlich abgewählt werden?) über Bücher (hauptsächlich Romane, die in anderen Ländern mit frauenfeindlichen Regimes spielten) bis hin zum jüngsten Skandal der Stadt. Die Geschichte, die sie in Aufregung versetzte, handelte von einer Achtklässlerin, die dabei erwischt worden war, wie sie nur halb bekleidet einem Neunzehnjährigen einen geblasen hatte. Die beiden hatten sich in der Buckland Hills Mall kennengelernt. Entdeckt wurden sie dann auf dem Nehantic Woods-Parkplatz in seinem Auto, auf dessen Boden leere Alkopopflaschen herumrollten.
Von dem Mädchen wusste man, dass sie ein ziemlich gestörtes Familienleben hatte. Sie lebte mit ihrer kettenrauchenden Mutter zusammen, die einen klapprigen Chevrolet Camaro fuhr. Von einem Vater wusste niemand etwas. Das war unglaublich beruhigend für die Frauen, die bei Polly zusammengekommen waren. Diese Mutter war nicht wie sie. Sie rauchten nicht. Sie fuhren keine verrosteten Sportwagen, und ihre Kinder hatten Väter, die bei ihnen waren oder sich wenigstens jedes zweite Wochenende um sie kümmerten.
Und doch ⦠verbrachten ihre Töchter sicherlich gerne Zeit in der Mall und wurden neuerdings dazu getrieben, die Aufmerksamkeit von Männern selbst der übelsten Sorte zu suchen. Das Internet zog sie in ständig gröÃer werdende Kreise von Freunden. Sie waren zwar technisch auf dem neuesten Stand, aber naiv wie schlanke Grashalme, die das räuberische Brummen des Rasenmähers nicht wahrnahmen.
»Und was soll das mit dem Oralsex?«, wollte Jeannette mit der schiefen Nase und dem seidigen roten
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