Die Zufalle des Herzens
Lippenstift wissen. »Genügt es nicht mehr, zu knutschen und sich gegenseitig zu befummeln? Müssen sie jetzt so ⦠persönlich werden?«
»Wenigstens wird man so nicht schwanger«, sagte Polly.
»Ja, aber es ist einfach so ⦠intim «, beharrte Jeannette. »Viel mehr als normaler Sex. Sex kannst du einfach ⦠na ja ⦠haben . Aber deinen Mund da unten hinhalten â¦Â« Dana fragte sich flüchtig, wie Jeannettes Ehe wohl lief. Doch ganz unrecht hatte sie tatsächlich nicht â was war heutzutage normal? Musste man diese Artikel in der Cosmopolitan lesen, die Titel trugen wie »Die sechzehn Geschlechtsakte, bei denen er Gott danken wird, dass er ein Mann ist«, und die Anleitungen dann auch noch befolgen? Wie heià war heià genug, und an welchem Punkt wurde es einfach krank?
Das Gespräch über den Blowjob auf dem Parkplatz ebbte allmählich ab, aber eigentlich waren die Frauen noch nicht bereit, den saftigen Knochen des Skandals wieder zu vergraben. Dana hatte die Nase voll davon. Sie verzog sich auf die Toilette. Fern dem unablässigen, empörten Geschnatter lehnte sie sich ans Waschbecken und schlang die Arme um ihren Oberkörper.
Alles wird gut , sagte sie sich. Morgan würde die Stürme der Pubertät genauso überstehen, wie sie selbst es getan hatte. Zuweilen mochte Morgan ja unreif sein, doch dumm war sie nicht. Sie konnte unmöglich so weit von dem abirren, was Dana ihr bisher zu vermitteln versucht hatte. Die Liste würde vielleicht mehrere getippte Seiten füllen, im Wesentlichen lief es aber darauf hinaus ⦠Selbstwertgefühl zu haben ⦠das Wissen, dass man geliebt wurde und sich nach Kräften bemühen sollte, sein Leben auszukosten. Darin bestand letztlich doch der Sinn und Zweck des Mutterseins: dafür zu sorgen, dass es den eigenen Sprösslingen gut ging.
Dana prüfte ihre Wimperntusche und ertappte sich zum hunderttausendsten Mal seit ihrer eigenen Pubertät bei dem Gedanken, dass ihre Augen, wenn sie statt dieses unbestimmten Haselnussbrauns eine richtige Farbe hätten â ein klares Braun oder Grün oder Blau â, von dem ablenken würden, was bei ihr nicht stimmte. Obwohl da eigentlich gar nichts war. Sie hatte eine gerade Nase, eine reine Haut. Und doch fiel es ihr schwer, über die Farblosigkeit ihrer Augen, die Fadheit der Haare oder ihre nun mal dem Teenageralter entwachsene Figur hinwegzusehen.
In der Hinsicht hatte sie immer so ein vages, irrationales Gefühl des Wartens verspürt: Wenn sie nur geduldig war, würde sie eines Tages aufwachen und alles, was an ihr nicht perfekt war, wäre ersetzt â durch die richtigen Farben oder feinere Proportionen. Manchmal musste Dana sich selbst daran erinnern, dass sie nicht eines schönen Tages auf wundersame Weise eine ganz andere Figur haben würde ⦠Sie musste mit dem vorliebnehmen, was sie hatte.
Als die letzten Gäste gegangen waren, half Dana Polly beim Aufräumen. »Endlich hat Denise dieses schreckliche Kindermädchen rausgeworfen«, berichtete Polly, während sie feuchte Cocktailservietten und klebrige Dessertteller einsammelte. »Keine Ahnung, warum das so lange gedauert hat.«
»Es ist nicht einfach, Leute rauszuwerfen. Wenn ich das tun musste, war ich jedes Mal kurz vorm Nervenzusammenbruch.«
»Lass mich mal raten: Es ging meistens um eine Sekretärin, die ⦠sagen wir, sich aus der Portokasse bedient hatte, stimmtâs?«, feixte Polly. »So nett, wie du bist, muss es etwas so Schlimmes oder gar noch Schlimmeres gewesen sein!«
»So nett bin ich gar nicht«, verteidigte sich Dana, wissend, dass Polly das Wort normalerweise im Sinne von âºnett, aber langweiligâ¹ oder âºnett, aber schwächlichâ¹ oder âºnett, aber dämlichâ¹ verwendete.
»Stimmt. Kannst du bitte diese Mülltüte in die Garage bringen. Gib acht, ich glaube, sie tropft.«
Dana streckte die Hand nach der Mülltüte aus. Polly lachte und lieà die Tüte wieder in den Eimer fallen. »Verstehst du, was ich meine?«
Vielleicht hatte Polly ja recht. Vielleicht sollte Dana in dem Fall sagen, Bring deinen Müll doch selbst raus . Aber sie hatte Polly gern, und sie spürte, dass Polly sie ebenfalls gernhatte. Und was war zwischen Freundinnen schon ein bisschen Müll?
Als sie mit dem Aufräumen fertig waren, reckte Polly sich, um sie zu
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