Die Zweitfrau
Angst vor dem Ersticken. Er kann es nicht ertragen, in den „Schwitzkasten“ genommen zu werden. Und so wie man ihm zu nahe an den Hals kommt, wird er unruhig.
Der Arzt schüttelt den Kopf:
„Nein, Sie werden nicht ersticken. Es wird ein körperlicher Verfall wie bei jeder anderen Krebserkrankung einsetzen.“
Peter atmet direkt auf. Ich denke so für mich:
„Was heißt hier, „wird einsetzen“? Der Verfall hat schon lange eingesetzt, hat große Fortschritte gemacht in den vergangenen Wochen.“
Immerhin - ich bin froh für Peter, dass er nun darüber Gewissheit hat, dass er nicht mit einem Erstickungstod rechnen muss. Das hat sehr auf seiner Seele gelastet.
Wir fahren nach Hause. Die Stimmung ist im Keller, was nicht verwunderlich ist. Dennoch, wir bemühen uns weiterhin so „normal“ wie m öglich zu leben.
Kapitel 19
Die Weihnachtszeit kommt und Peter will noch einmal alles festlich geschmückt sehen. Mir selbst ist es völlig gleichgültig, aber ich will ihm die Freude nicht verderben. So machen wir uns einen Tag vor dem 1. Advent gemeinsam daran, die Wohnung weihnachtlich zu schmücken. Peter hat in der Woche zuvor noch Lichterketten für die Fenster gekauft und nun hängt er sie auf. Ich sitze auf dem Boden und mache buchstäblich die „niedrigen“ Arbeiten. Ich entwirre alte Lichterketten, baue Kleinigkeiten zusammen, während Peter auf der Leiter steht und dort arbeitet. Und da ist nun ganz deutlich zu erkennen, wie weit der Verfall schon vorangeschritten ist. Noch im Jahr zuvor hat Peter die Dekorationen flott aufgehängt. Dieses Jahr muss er dreimal pausieren, um sich ins Bett zu legen und auszuruhen. Als ich ihm vorschlage, dass ich doch alleine weiter machen kann, lehnt er das jedoch rigoros ab. Das ist seine Aufgabe und er wird sie auch erfüllen, es braucht eben etwas mehr Zeit. Natürlich habe ich keineswegs damit gerechnet, dass er diese Aufgabe nicht erledigen kann, mir geht es mehr darum, ihn zu entlasten. Aber das will er nicht.
Und selbstverständlich trifft er sich wieder zu einem Essen mit seinen Kindern. Sorgfältig zieht er sich an. Es ist mitleiderregend, wie er in seinen „Ausgehsachen“ aussieht. Er hat noch mehr abgenommen, die Hosen flattern buchstäblich um seine Beine, die Jacke ist viel zu groß für ihn. Man kann leicht auf den Gedanken kommen, sie sei nicht seine. Und obwohl es ihm tatsächlich nicht besonders gut geht, fährt er zu dem Treffen los.
Es ist wohl ein schöner Abend gewesen, wie ich einige Tage später von seiner Tochter erfahre. Alessa bedauert nur:
„Ich hätte so gerne ein Foto gemacht von uns allen. Aber die Männer haben wieder mal so getan, als wäre dazu auch noch nächstes Jahr Zeit. Da hab ich die gute Stimmung nicht drücken wollen.“
Wir beide sind sicher, dass es kein weiteres Weihnachtsessen mit ihrem Vater geben wird.
Dieses Jahr findet unser Weihnachtsessen bei meiner Schwester statt, worüber ich sehr froh bin. Mir ist gar nicht nach Weihnachten, ich bin immer häufiger müde, schleppe mich meistens so durch den Tag. All meine Sinne sind völlig auf Peter fixiert. Sein Wohlergehen ist mir wichtig - ich versuche, was möglich ist für ihn zu tun, ihn zu entlasten.
Gleich zu Beginn der Adventszeit habe ich Peter darüber informiert:
„Dieses Jahr gehe ich nicht in die Kirche, das sage ich dir. Kommt auf keinen Fall in die Tüte.“
„Selbstverständlich gehen wir nicht in die Kirche“, kommt von ihm im Brustton der Überzeugung. „Wir haben gar keinen Grund dankbar zu sein oder gar zu jubilieren.“
Es wird ein trauriges Weihnachtsfest. Es ist uns bewusst, dass es keine Wiederholung geben wird. Aber wir sprechen nicht darüber. Silvester gehen wir sehr früh ins Bett. Peter geht es nicht gut, er ist immer müde und ich selbst lege keinen Wert auf die aufgesetzte Fröhlichkeit im Fernsehen.
Am nächsten Morgen wünschen wir uns wohl ein „Gutes Neues Jahr“, aber mit der Gewissheit, dass es ein ganz schreckliches Jahr werden wird.
Und wieder muss Peter in die Klinik, zu seinen Nachuntersuchungen. Nun teilt man ihm mit, dass jetzt eine Chemo möglich ist. Diese jedoch soll nicht mehr wie bisher auf der Station gemacht werden, die er kennt, sondern in der dafür eingerichteten Tagesklinik. Es soll auch gleich ein Termin vereinbart werden. Der neue Termin für vier Blocks Chemo wird für März vorgesehen.
Im Februar fahren wir, um ein neues Auto zu bestellen. Ich finde das überflüssig, aber es ist Peters Wunsch noch
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