Die Zweitfrau
angekündigt. Da dieser jedoch momentan sehr viel zu tun hat, wird beschlossen, gleich mit der Chemo zu beginnen. Ich hole Peter also an einem Samstag früh aus der Klinik ab, nachdem er den ersten Block der Behandlung hinter sich gebracht hat. Er ist froh, als ich ihn abhole, freut sich auf daheim; ist geradezu glücklich, der Klinik entrinnen zu können. Und da ihm auch die neue Chemo nichts ausmacht, leben wir weiter wie zuvor. Er hat neue Medikamente erhalten, die die Schmerzen in Schach halten sollen. Und nun endlich nimmt Peter diese regelmäßig so, wie verordnet. Zwei Wochen später geht er erneut in die Klinik für den nächsten Block der Chemo. Dies bedeutet immer, dass Peter eine Nacht außer Haus ist. Am kommenden Morgen hole ich ihn mit meiner Schwester zusammen ab und uns fällt beiden sofort ein eigenartig, brandiger Geruch auf, der von Peter ausgeht
„Was ist jetzt? Was hat der Arzt denn nun gesagt zu dir?“
Peter ist ungewöhnlich still, tut, als hätte ich nichts gefragt. Durch den Rückspiegel tausche ich besorgte Blicke mit meiner Schwester. Dann stoße ich ihn erneut an und frage nochmal nach.
Nun endlich antwortet er mir:
„Lass uns daheim reden. Dort haben wir Ruhe.“
Ich erwarte nichts Gutes, denn sonst würde er sicher sofort sprechen.
Daheim angekommen setzt sich Peter an den Tisch, ich nehme ihm gegenüber Platz und frage:
„Was ist denn nun los, was hat der Arzt gesagt?“
Peter greift über den Tisch, nimmt meine Hände, blickt mich traurig an und antwortet:
„Der Tumor ist wieder aktiv, er hat sich ausgeweitet, ist am Herzbeutel, im Lungenflügel und wächst.“
Ich bin wie vor den Kopf geschlagen. Kann nicht sprechen. Mein Kopf ist vollständig leer und mir fehlen die Worte. Peter schaut mich besorgt an. Was soll ich sagen?
„Ich kann jetzt nichts sagen, das muss ich erst mal verarbeiten.“
„Ja, das verstehe ich“, antwortet er, steht auf, will das Zimmer verlassen, dreht sich dann plötzlich zu mir um.
Mit tränenerstickter Stimme sagt er:
„Er tut mir so leid, dass es so gekommen ist. Ich wünschte, ich könnte es ändern, denn es wird für dich einfach zu viel.“
Sofort springe ich auf, nehme ihn in den Arm, drücke ihn fest an mich und antworte:
„Aber Liebling, das braucht dir doch nicht leid zu tun. Das ist ja nichts, was du dir ausgesucht hast. Hab keine Angst, diesen Weg gehe ich mit dir bis zum Schluss. Ich lasse dich nicht alleine, auf keinen Fall. Und ich schaffe das auch. Wir schaffen das gemeinsam.“
Er weint jetzt bitterlich, ist aber auch beruhigt, denn natürlich erinnert er sich an unser Gespräch vor dem Urlaub, in dem ich ihm gesagt habe, dass ich „das nicht noch einmal mitmachen kann“. Er dankt mir und geht dann in sein Zimmer, um sich hinzulegen. Ich setze mich wi eder an den Tisch und versuche klare Gedanken zu fassen. In meinem Kopf wirbeln alle möglichen Gedanken herum. Und dann endlich wird mir klar, was dieser immer wiederkehrende Geruch bedeutet. Der Tumor arbeitet in dieser Zeit, dringt in alle verfüg- und erreichbaren Organe ein. Deshalb der Geruch. Wenn der Tumor dann wieder „ausruht und neue Kraft sammelt“, bevor er erneut zuschlägt, verschwindet der Geruch so schnell, wie er gekommen ist. So ist es von Anfang an gewesen. Ich habe es einfach nicht erkannt. Ich lasse alle Vorkommnisse Revue passieren und finde meine Vermutung bestätigt. Allein, auch diese Erkenntnis bringt mich, bringt uns, nicht weiter.
Von nun an beginne ich diesen Tumor als eine Art „persönlichen Feind“ zu betrachten. Er nimmt für mich „Gestalt“ an, wird ein Monster. Ich sehe und höre ihn direkt, wie er jedes Mal, wenn eine neue Chemo gemacht wird, wenn neue Medikamente verordnet werden, höhnisch vor sich hin kichert. Er ist siegesgewiss, ihm kann einfach niemand und nichts etwas anhaben. Er nimmt sich Zeit, arbeitet eine Weile, kriecht durch Peters Körper, wird größer und dann, so scheint es mir, setzt er sich hin und „ruht“ ein wenig aus. Beobachtet, welch unsinnige Dinge wir tun, um ihm Einhalt zu gebieten. Und ich beginne dieses Monster zu hassen. Am liebsten würde ich in Peter hineingreifen, es fassen, es herausreißen, auf den Boden werfen und mit kochendem Wasser überbrühen. Und weil mir klar ist, dass all dies nicht geht, werde ich noch wütender, aber auch hilfloser. Es gibt einfach nichts, was ich tun kann.
Und nun, zum ersten Mal erlebe ich, dass Peter dabei ist, aufzugeben. Er wirkt niedergeschlagen, lustlos
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