Die Zwischenwelt (German Edition)
Zementgebäudes lief. Dort gab es einen Haartrockner, aber nein, da war sie auch nicht.
„Vielleicht wartet sie irgendwo in den Gebüschen und will mich erschrecken“, dachte ich. „Das würde zu ihr passen! Na gut, ich trockne meine Haare und dann werden wir sehen.“
Ich war noch nicht ganz trocken, machte mich dann aber trotzdem schon auf den Weg, weil ich die Situation allmählich ziemlich seltsam fand: Irgendetwas stimmte nicht. Draußen war es bedeutend heller geworden und jetzt war es gar nicht mehr so einfach, nicht gesehen zu werden. Anstatt direkt die Wiese zu überqueren, wählte ich den längeren Weg am Zaun und den Gebüschen entlang, bis ich dort ankam, wo wir hereingeklettert waren – nichts: Sara war nicht da.
„Sara?“, rief ich leise. Immer noch nichts.
„Okay, dann gehe ich zu den Fahrrädern“, sagte ich laut, als ob ich es zu ihr sagen würde – vielleicht beobachtete sie mich ja gerade. Ganz alleine war es viel schwieriger, den Zaun zu überwinden. Der Stacheldraht auf der oberen Kante zerkratzte meine Beine, aber das war mir unwichtig. Einmal draußen spielte es keine Rolle mehr, gesehen zu werden und so überquerte ich die Straße, ohne mich weiter zu sorgen. Eigentlich interessierte mich jetzt nur noch eines: Wo zum Teufel war Sara geblieben?
„Herrgott!“, entfuhr es mir, als ich ein Stück weiter gekommen war. „Wo ist die alte Pappel mit unseren Fahrrädern?“ Mein Fahrrad war nicht dort, wo ich es in Erinnerung hatte, sondern stand 5 Meter weiter entfernt an eine rote Bank angelehnt.
„Die große Pappel ist weg – verschwunden! Grundgütiger! Was ist denn hier los? Meine alte, uralte Pappel ist weg und dafür stehen mehrere junge Pappeln in einer Reihe!“ Natürlich waren weder Sara noch ihr Fahrrad zu sehen und mein Gespräch war längst ein Monolog geworden.
Die Vögel, die um diese Uhrzeit zu singen begannen, machten mich an diesem speziellen Tag sehr nervös. Sie kündigten den Anfang des Tages an, wie immer – aber diesmal war es der erste Tag ohne Sara.
Auf dem Rückweg sah alles irgendwie anders aus – vor lauter Staunen fuhr ich auf der geraden Straße nur noch Kurven.
„Dieses Haus war doch hellblau – jetzt ist es hellgelb bemalt! Und dort gibt es statt des Gartens jetzt einen Parkplatz!“ Manche Unterschiede waren subtil, andere gewaltig.
Zu Hause angekommen, fiel mir als erstes meine Zimmertür auf: Sie war weiß, komplett weiß. Die große Trommel, die Saras Bruder mir ausgeliehen hatte, war weg und auch Saras Schirm, den sie einige Stunden zuvor dort gelassen hatte, war nirgendwo zu sehen. Meine Ratte namens Silvestro und ihr riesiges Gehege – beides Geschenke von Sara – waren ebenfalls verschwunden.
Als die Nacht nun endlich dem Tag Platz machte, wurde der Himmel stahlblau – man konnte eine Mücke in zehn Metern Entfernung fliegen sehen. Meine Mutter tauchte auf – wie immer hatte sie ein paar Geräusche gehört und musste nun kontrollieren kommen, ob alles in Ordnung sei.
„Hast du diese Nacht Sara gesehen?“, fragte ich sie besorgt.
„Wen?“, antwortete sie erstaunt.
„Sara!“, erwiderte ich genervt. „Du musst sie doch gesehen haben! Sie hat ihren Schirm, die Trommel und sogar meine Ratte mitgenommen!“
„Wovon sprichst du denn? Wer ist Sara?“, fragte sie noch erstaunter. Dann warf sie mir einen bösen Blick zu. „Hast du Drogen genommen?“
„Hör auf!“, schnappte ich, „Sara! Die Sara!“
„Tut mir leid, aber ich habe wirklich keine Ahnung, von wem du da sprichst“, sagte meine Mutter kühl. „Und du hattest eine Ratte? Ich habe dir nie die Erlaubnis gegeben, eine Ratte …“
Ungeduldig unterbrach ich sie: „Komm schon – Sara und ich haben kürzlich meine ganze Zimmertür bemalt! Mit Blumen! Und die ist jetzt natürlich auch weg – jetzt steht eine weiße Tür hier.“
„Hör mal, ich würde es doch wissen, wenn du mit jemandem deine Tür bemalst. Hör doch auf, mich zu veräppeln! Du hast sicher Drogen genommen – zeig mal deine Augen!“
Damals war mir noch nicht ganz klar, was los war – und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. So packte ich meine Taucherbrille ein und fuhr mit meinem Fahrrad zu unserem Kastanienwald.
Fionas Aussichten
F ast zeitgleich blickte Fiona Costanzo mit ernstem Gesicht in die Ferne. Aus der Fensterfront der kleinen Dachwohnung im obersten Stock des Gebäudes konnte sie die ganze Stadt sehen, bis hin zum See. Es war Winter – ausnahmsweise befanden sich
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