Diebe
angestellt?«
»Der Mann da eben hat sich so Sorgen um sein Portmonee gemacht, da wollt ich ihm mal ’n bisschen aushelfen.« Er zeigt ihr eine Faustvoll von zerknitterten Geldscheinen, die er sich dann in die Gesäßtasche stopft. »Komm, Baz, wir müssen jetzt los.«
»Er wird denken, dass du’s warst!«
»Hab ihn in die Straßenbahn steigen sehn. Was soll er machen?«
»Wenn er merkt, dass er nicht zahln kann, springt er wieder runter – das wird er machen. Dann kommt er sofort hergelaufen. Mann, dich hat ja wohl ’ne tollwütige Fliege gebissen. Manchmal glaubt man echt, dass Giacomo ’ne Intelligenzbestie ist, wenn man ihn mit dir vergleicht.«
»Was machste hier so’n Aufstand? Alles, was der Mann findet, falls er herkommt, ist, dass ich weg bin. Jetzt komm, Baz, bitte ...«
Das »Bitte« überrascht sie nicht schlecht, doch in diesem Moment wird ihre Aufmerksamkeit vom Captain abgelenkt, der sich hinunterbeugt und mit jemandem spricht, der noch in dem schwarzen Mercedes sitzt, jemand, der keine Uniform trägt, sondern eine schicke blaue Jeans. Also eine jüngere Person? Weitere Einzelheiten kann sie nicht erkennen, aber das spielt keine Rolle, sie weiß auch so, wer es ist. Eduardo. Arbeitet er jetzt mit seinem Vater zusammen? Dem Mann, den er beraubt, dem Mann, über den er gespottet hat? Momentan sitzt er jedenfalls in dessen Auto, macht ihn sich zunutze, wie er sich auch Señora Dolucca zunutze gemacht hat und Fay ebenfalls. Er ist verdammt schlau, denkt Baz, zu schlau für sie und Demi.
»Baz! Träumst du? Wir müssen los. Lucien wartet bestimmt schon. Hier ist der Boden zu heiß, Baz.« Er zieht ungeduldig an ihrer Hand.
»Okay, okay.«
Da hören sie das Klingeln einer Glocke und das vertraute Quietschen der auf dem Platz einfahrenden Straßenbahn und laufen sofort los, erreichen das hintere Ende der Bahn, gerade als sie wieder anfährt.
»Was war los? Für’n Moment dacht ich, du wolltest glatt dableiben«, sagt er, als er sich auf den Sitz neben ihr fallen lässt.
»Wenn ich dableibe, wer soll dich dann immer wieder aus’m Schlamassel rausholn?«
Er führt mal wieder sein übertriebenes Schulterzucken vor, wobei seine Schultern fast die Ohren berühren. »Werd schon jemanden finden.«
»Ach so, ja. Na, brauchste aber nicht, Demi.«
Er wendet sich ab und guckt aus dem Fenster. Nach einer Weile sagt er: »Will auch niemand anders finden, Baz, hey.« Und er streckt ihr die flache Hand hin, sie klatscht sie leicht ab, und für einen Moment haken sich seine Finger um ihre Fingerspitzen, dann lässt er sie wieder los.
»Wie weit nach Norden wolln wir fahrn, Demi?«, fragt sie.
»So weit uns der Zug mitnimmt.«
Sie schließt die Augen, während die Stadt draußen vor dem Fenster vorbeizieht. In Sicherheit. Sie haben Geld, genug für den Zug, genug vielleicht sogar, um irgendwo neu anzufangen, eine neue Bleibe zu finden. So schwer kann das nicht sein. Nichts kann so schwer sein, wie im Barrio zu überleben.
30
Doch das Barrio mit seinem Gewirr von Gassen und Wegen ist schon halb tot. Nur eine Handvoll der größeren Gebäude stehen noch, ragen aus dem Schutt und dem Geröll heraus. Irgendwie wirken sie nackt und ungeschützt, als wären sie von dieser neuen Wildnis überrascht worden.
Genau in der Mitte dieser neu geschaffenen Fläche befindet sich eine alte Kirche mit einem hohen Kuppeldach, Baz’ und Demis Unterschlupf, ihre Insel in einer stürmischen See.
Drüben am ausgetrockneten Fluss stehen die ehemaligen Lagerhäuser, knochenfarben, von der Sonne ausgebleicht. Vielleicht steht Fay da jetzt am Fenster und blickt zur Stadt hinüber, macht sich Gedanken über Baz und Demi, fragt sich, ob es richtig war, sie gehen zu lassen, fragt sich, ob der goldene Sohn, der zu ihr zurückgefunden hat, die Vergangenheit und Zukunft für sie sein wird, die sie sich ersehnt.
Und Eduardo, der neue Señor, sitzt auf dem Rücksitz dieses schwarzen Polizeiautos, das am Agua-Platz parkt, und blickt womöglich durch das getönte Fenster auf all das, was er erreicht hat. Oder vielleicht sind seine Gedanken bei Baz und Demi, weil es ihn wütend macht, dass zwei kleine Diebe entkommen sind und es nun zwei Münder gibt, die zu viel reden könnten. Der neue Señor wird, ebenso wie seine Mutter, alles tun, was für seine Sicherheit erforderlich ist. Vielleicht ist er noch wütender darüber, dass sie ihm eine blutige Nase verpasst haben, und das in aller Öffentlichkeit: Einer seiner Männer liegt auf
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