Diebe
Sie steht auf Zehenspitzen, kann trotzdem nichts erkennen und schiebt sich daher durch die Menge, bis sie eine Lücke findet. Es ist jedoch gar nichts zu sehen, nichts als Polizei und die Männer in glänzenden Anzügen, die neuen Schattenmänner. Da stehen sie, auf der falschen Seite der Absperrung, verkehren mit den Uniformierten, als seien sie von ein und demselben Schlag. Sie sieht einen Mann, den sie von früher kennt, eine von Moros rechten Händen, einen Indio mit markanten Gesichtszügen, der immer mit Vorliebe rote Seidenhemden getragen hat, und den sieht sie jetzt also neben einer der riesigen Planierraupen, die Hand auf den Tritt gelegt, den Kopf zu dem stämmigen Fahrer hochgeneigt, ebenfalls ein Indio, ähnlich stabil gebaut wie seine Maschine, mit dem er sich austauscht, als seien sie zusammen aufgewachsen.
»Tja«, sagt Demi. »Jemand hat ’n Deal gemacht und jetzt ist alles irgendwie umgekrempelt.« Sein Gesicht ist ganz verkniffen und ihm steht der Schweiß auf der Stirn. Demi schwitzt nicht so leicht, anders als die größeren Jungen. Aber jetzt schwitzt er und seine Stimme ist rau und angespannt. »Eduardo hat ’n Deal gemacht.«
Baz nickt, während sie die Szene vor sich betrachtet. Es ist kein Prasseln von Schüssen zu hören, nur das tiefe, warme Tuckern der Planierraupen, wenn sie sich in Bewegung setzen, und dann das satte Knirschen einstürzender Mauern, die den Staub in die frühmorgendliche Luft aufsteigen lassen, wo er die Sonne auffängt und zu leuchten beginnt.
Einer der Schaulustigen schlürft geräuschvoll aus seinem Pappbecher mit Kaffee. »Räumen nur einen Block zurzeit. Wolln da ’n paar richtig hohe Häuser hinstellen. Alles aus Glas. Wie in Chicago. So sagen sie. ’ne ganz neue Stadt genau hierher. Wer hätte das gedacht?« Er reißt ein Stück von einem Croissant ab und stopft es sich in den Mund. Jemand anderes sagt: »Das hab ich auch gehört.«
Eine kleine Gruppe von Flüchtlingen sickert jetzt durch die Polizeilinien auf den Platz hinaus. Vielleicht ist dies die letzte Chance für die Menschen, das Barrio zu verlassen. Es sind Chinesen darunter, die Kisten und Bündel mit sich schleppen, alte Männer mit hohen Kragen, auf Stöcke gestützt – offenbar hat man die Wäscherei und den Spielschuppen abgerissen. Einige zerlumpte Familien haben nichts bei sich außer ein paar vollgestopften Plastiktüten oder Strohkörben, die Kinder klammern sich an ihre Mütter, niemand weint, niemand blickt auf. Baz kennt einige dieser Leute, aber sie hat nichts mit ihnen zu tun. Von Lucien ist nichts zu sehen.
»Wär für alle besser, wenn die Planierraupen den ganzen Schutt einfach auf die da draufschütten würden. Gäb’s ein Problem weniger, was? Paar Diebe weniger in der Stadt.«
»Jeder muss irgendwie leben«, sagt Demi zu ihm.
Der Mann mustert ihn kühl. »Kann jeder leben, solang er seine Steuern zahlt und seine Hand aus meiner Tasche rauslässt.«
»Der Junge hat recht«, sagt ein Jüngerer. »Würden Sie Ihr Haus verliern, fänden Sie’s bestimmt nicht so toll.«
»Ja«, knurrt der Mann, »also ich, ich hab mein Haus bezahlt. Aber der hier, der sieht aus, als würde er zu denen da gehörn. Bist ’ne Barrio-Ratte, Junge? Eh? Ich hab meine Hand auf meiner Brieftasche – würd Ihnen das Gleiche empfehln.« Er spuckt aus und wendet sich ab.
Der junge Mann sieht Demi neugierig an. »Hab den Eindruck, es gibt ’ne ganze Menge fetter Ratten, die die Stadt erst mal loswerden sollte, bevor sie sich Gedanken um die armen Leute im Barrio machen muss. Fette Katzen auch«, sagt er mit Blick auf einen schwarzen Mercedes mit dunkel getönten Fensterscheiben, der gerade vorfährt. Plötzlich sind alle Uniformträger etwas wachsamer, straffen sich, drücken ihre Zigaretten aus und blicken dem bulligen Mann entgegen, der hinten aus dem Wagen steigt. Der Captain. Glänzende kniehohe Stiefel aus schwarzem Leder, eine grüne Uniform und eine eckige dunkle Brille, die sein Gesicht verdeckt. Seine Leutnants grüßen zackig. Er nickt ihnen zu und starrt dann, während ein Mann im Anzug ihm offenbar die Lage erläutert, hinüber ins Barrio, wo die Planierraupen ihre Arbeit verrichten.
Baz dreht sich zu Demi um, doch der ist verschwunden. Sie rührt sich nicht. Er würde nicht ohne sie weggehen. Wahrscheinlich hat er nur irgendwas gesehen, wie ein Hund, der mal hier, mal dort schnüffelt. Einen Augenblick später ist er wieder da.
»Du machst so’n Gesicht, Demi, was hast du
Weitere Kostenlose Bücher