Diebe
entgegenblickt. Manchmal wünscht sie sich, sie könnte sich die Haare wachsen lassen und einen Rock tragen, aber sie hört auf Fay. Baz und Demi sind immer gewaschen, ihre Gesichter schimmern vor Sauberkeit, sie tragen neue Jeans und ordentliche T-Shirts. Richtig gepflegt. »Hier in der Stadt musst du immer gepflegt aussehn«, erklärt Fay. »Sonst wirst du von den Greifern geschnappt und abgeführt. Du wanderst ins Gefängnis und da ist dann Endstation.«
»Ich und Baz, wir können schneller rennen als jeder Polizist der Welt«, sagt Demi. »Wozu haben wir denn die Sneakers hier, wenn nicht zum Rennen?« Aber auch er hört auf Fay, ja er bügelt sogar seine Jeans. Schon ein paarmal haben er und Baz beobachtet, wie Kinder, noch richtig kleine Rotznasen, in einen Polizeitransporter verfrachtet wurden. Sie wissen, dass ständig Kinder verschwinden, die nicht adrett genug sind.
Wie auch immer, inzwischen findet Demi Gefallen daran, schick auszusehen. Er tut gerne großspurig und kehrt den Mann heraus. Baz sagt, er sehe aus wie eins von den Stinkehühnern, die im Barrio, wo Baz, Demi und Fay in einem alten Lagerhaus über dem ausgetrockneten Fluss wohnen, nach allem Essbaren picken. Aber Baz hat auch schon beobachtet, wie reiche Damen ihm einen Blick zuwerfen, als wäre er ein Gegenstand, den sie vielleicht mal gerne kaufen würden, wie eine ausgefallene Handtasche oder ein Paar Schuhe aus weichem Leder. Wer weiß schon, was in den Köpfen reicher Damen vorgeht? Sie verbergen die Augen hinter abweisenden schwarzen Sonnenbrillen, und man kann nie erkennen, was ein Mensch grade denkt, es sei denn, man sieht seine Augen, aber selbst dann darf man sich nicht sicher sein, denn Augen sagen nicht immer die Wahrheit. Glaubt jedenfalls Baz.
Ist Demi in großspuriger Laune, erklärt er Baz, dass er sie eines Tages, wenn sie erwachsen ist, vielleicht heiraten wird, falls sie Glück hat. Dasselbe sagt er übrigens auch zu Fay, doch die gibt ihm dann einen Klaps auf den Kopf und meint, er solle sie in Ruhe lassen. Aber lächeln tut sie trotzdem, auch wenn sie für Baz und Demi im Augenblick nicht so viel Zeit hat. Es gibt nämlich noch andere Kinder, die ihr über den Weg gelaufen sind, Kinder, die eine Bleibe suchen, die kein Zuhause haben und etwas zu essen brauchen. Fay bringt ihnen die Arbeit auf der Straße bei, zum Beispiel Schuheputzen, und wenn sie begabt sind, zeigt sie ihnen ein paar von den Tricks, die sie auch Demi und Baz gelehrt hat. Die Kinder bleiben eine Weile bei ihr – aber nur, wenn sie’s schaffen, ihren Unterhalt zu verdienen. »Ich bin doch kein Wohltätigkeitsverein«, gibt sie ihnen zu verstehen. »Wohltätigkeit ist in dieser Gegend nicht angesagt. Die haben ihr Leben, wir haben unsres«, erklärt sie, und damit hat sich’s.
Señor Moro ist der König des Barrio, keiner kommt ihm in die Quere, nicht mal die Polizei. Fay sagt, dass Moro so große Hosentaschen hat, dass sogar der Polizei-Captain hineinpasst. Baz dachte lange, Moro müsse ein Riese sein, wenn er so große Hosentaschen hat. Inzwischen weiß sie, was für ein Mann das ist. Demi hat ihr einmal eine Stelle im Barrio gezeigt, die »Moros Mauer« genannt wird. Eigentlich gibt es dort nichts zu sehen. Irgendwann war es wohl mal die Außenmauer eines großen Gebäudes. Von dem Gebäude ist inzwischen nichts mehr übrig, bloß die Mauer und ringsum ein Haufen Schutt und Müll. Als Demi Baz die Stelle zeigte, standen dort ein paar Leute herum und auf dem Boden lag ein Toter. »Señor Moro hat ihn umbringen lassen«, erklärte Demi. Baz fragte ihn, warum – worauf Demi nur mit den Schultern zuckte. »So macht er’s halt.«
Mittlerweile ist Baz klug genug, sich nicht allzu auffällig für Señor Moro oder dessen Geschäfte mit Fay zu interessieren, und so schließt sie denn, wenn sie mit Fay und den anderen Kindern zusammen ist, einen Teil von sich weg und achtet darauf, zu den Kleinen nicht allzu freundlich zu sein. Wenn sie weinen, dann weinen sie eben. Jeder muss mal weinen. Wenn man auf der Straße ist, bringt einem Weinen überhaupt nichts ein. Trotzdem stellt Baz sich Fragen. So manche Gedanken gehen ihr durch den Kopf, auch wenn sie sich bemüht, sie abzuwehren. Sie fragt sich, was mit den Kindern passiert, wenn sie wieder wegmüssen. Einige bleiben so lange, dass sie glaubt, Fay werde sie vielleicht dabehalten, ein paar Jungen, die Demi alles Mögliche abzugucken beginnen, sein Großtun, sein Geprotze, sein Grinsen, und die sich dabei
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