Diebin der Zeit
Oberstübchen ist einiges durcheinandergeraten. Die Luftknappheit, heißt es, habe sie krank bis ans Ende ihrer Tage werden lassen. Sie lallt nur noch und versteht kein Wort von dem, was man ihr sagt. Ich bin immer ganz fertig, wenn wir sie besucht haben .«
»Besucht?«
»Cees hat uns darum gebeten. Einmal im Monat gehen wir zu ihr ins Spital. Man tut für sie, was man kann. Aber sie lebt nur noch, um eines Tages zu sterben.«
Kopfschüttelnd sage ich: »Wenn man dich hört, könnte man diesen Luden für einen Engel halten!«
»Er ist weder ein Engel noch das Gegenteil. Er ist einfach ein Mann mit Facetten. Nicht nur böse und gewiß nicht nur gut. Er kann zauberhaft sein - aber auch ein Rabenaas zu denen, die ihm Schaden zufügen. Zu uns ist er überwiegend gerecht ... Aber genug! Ich klinge, als wollte ich ihn anpreisen! Dem ist nicht so. Weder er noch Ca-mille haben mich angehalten, dich zu beeinflussen.«
Ich nicke, denn mein Instinkt hat sich als verläßlich bewährt, und bei Dianne spüre ich auch jetzt noch nicht den Hauch eines Vorbehalts.
»Was geschieht mit den Frauen, wenn sie älter werden und ihre Attraktivität verlieren? Oder wenn die Kundschaft nach frischem Blut verlangt?«
Zum erstenmal wirkt ihre Natürlichkeit für einen Augenblick wie eingefroren. Diesen Ausdruck weiß auch ich nicht zu deuten.
»Frisches Blut«, wiederholt sie wie benommen.
Dann fällt sie so warnungslos zu Boden, daß ich es nicht mehr verhindern kann. Zuckend liegt sie da. Ihre Augen rollen hin und her. Ihr Kopf schlägt gegen die gewachsten Dielen. Brüllend schlägt und tritt sie um sich.
Ich muß alle Kraft aufbieten, um sie festzuhalten.
Ihr Geschrei hat andere alarmiert.
Die Tür geht auf, und Dianne wird fortgetragen ...
* Die Hand, die mich mitten in der Nacht aufweckt, gehört Cees.
Ich schrecke aus bleierner Tiefe. Es ist immer dasselbe: Das Dunkel überfällt mich wie ein Erdrutsch, und ich bezweifele, daß das, worin ich jede Nacht versinke, wirklich Schlaf genannt werden darf. Es ist, als würde mein Bewußtsein wie eine Flamme erstickt - und anderentags immer wieder neu entzündet. In mir streiten keine Traumgestalten. Solche Phantasmagorien kenne ich nur aus Erzählungen anderer.
»Es geht ihr besser«, sagt er. »Ich dachte, es interessiert dich vielleicht .«
»Dianne?«
Er nickt. Seine Züge zeigen Erschöpfung. Er hat noch kein Auge zugetan.
»Was fehlt ihr?« »Wir wissen es nicht. Jedenfalls ist der Anfall vorbei.«
»Wohin wurde sie überhaupt gebracht?«
»Mein Leibarzt wohnt in der Nähe. Er hat versprochen, sie in seiner Obhut zu behalten, bis sie wieder ganz gesund ist.«
»Hatte sie eine solche Anwandlung schon früher einmal?«
Er verneint. Die Lampe, die er hält, wirft trübes Licht über uns und das Mobiliar.
»Ich gehe jetzt«, sagt er, »es sei denn, du willst, daß ich bleibe.«
Mein Blick kann ihm nicht geheuer sein. »Das kommt darauf an.«
»Worauf?«
»Wieviel es dir wert wäre, bleiben zu dürfen.«
»Heißt das, du hast dich entschieden ...?«
Ich ziehe ihn zu mir herab. Es genügt ihm als Antwort.
Aber mir nicht. »Ich stelle eine Bedingung.«
Er furcht die Stirn.
»Ich möchte, daß Dianne mir die Kniffe des Gewerbes beibringt -nicht Camille. Können wir uns darauf einigen?«
Er entspannt sich und verspricht es mir.
Als er in mich eindringt und sich die Befriedigung holt, die jeden anderen künftig teuer zu stehen kommen wird (teurer, als sie ahnen können), denke ich nur an Dianne.
Ich hoffe, sie kehrt wirklich zurück. Ich hoffe, wir werden Freundinnen .
Cees sinkt über mir zusammen.
Dieses eine Mal, beschließe ich, wird ihn meine Gunst noch keine grauen Haare kosten.
*
In den kommenden Tagen, mehr noch aber in den Nächten, lerne ich begreifen, worauf ich mich tatsächlich eingelassen habe. Ich hat-te mir eingebildet, es zu wissen. Aber alle Theorie ist grau.
Mein erster Kavalier ist jung und recht ansehnlich, deshalb gebe ich seinem Werben nach und führe ihn in das Zimmer, das ich von Camille zugewiesen bekam. Es liegt direkt neben dem von Dianne, denn seit ich mich zum Bleiben entschlossen habe, leben wir nun Tür an Tür.
Kaum bin ich mit meinem Gast allein, greift er derb zwischen meine Beine. Er tut mir weh, aber daran scheint weniger seine Absicht als seine Tumbheit Schuld zu tragen. Er keucht, sein Gesicht ist rot durchblutet. Er kommt mir vor, als hätte er vor mir noch nie eine Frau bestiegen.
Ich stoße ihn zurück und fauche:
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