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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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Enttäuschung erinnern, die er empfunden hatte, als deutlich geworden war, dass sie ihn nicht vor ihren Eltern umarmen oder küssen würde. Marguerite kannte solche Bedenken nicht. Sie hätte ihn (oder zuvor Harold) auch vor den Augen des Papstes geküsst, und der Kuss wäre lang und leidenschaftlich gewesen. »Wieso habe ich eigentlich Schuldgefühle, dass ich hier bin und ihn nicht anrufe?«
    »Harold? Na, das  ist ja ein richtiges Rätsel.«
    Sie zuckte die Schultern und studierte das Schild, als hätte ihre Übersetzung noch nicht all seine Geheimnisse enthüllt. »Und stell dir vor, der Junge hat das ganz allein rausgekriegt«, sagte sie und wandte sich zu Griffin. »Wie schade, dass er sie so liebt.«
    Griffin war ziemlich sicher, dass er Sunny Kims langjährige Verehrung für Laura nie erwähnt hatte, was bedeutete, dass Marguerite von selbst darauf gekommen war. »Dem wird’s schon gut gehen«, sagte er, trank seinen Martini aus und versuchte, in seine Stimme mehr Gewissheit zu legen als er empfand. Er überlegte, ob er ihr von Sunnys eigenen Heiratsplänen erzählen sollte, beschloss aber, es nicht zu tun, denn er fürchtete, er werde dabei seine eigenen unguten Ahnungen durchblicken lassen.
    »Ich weiß. Er ist intelligent, er sieht gut aus, und er ist Anwalt«, sagte sie. »Es ist nur so schade, dass man nicht Ja zu einem Menschen sagen kann, ohne zu einem anderen Nein zu sagen.«
    Sie sprach von Laura, dachte Griffin. Natürlich. Nur dass ihr Gesichtsausdruck ihm fremd erschien, eine eigenartige Mischung aus Traurigkeit und Vorahnung, die ihm den dringenden Wunsch eingab, das Thema zu wechseln, damit sie nicht sagte, was sie sagen wollte. »Ich habe mich gefragt, was du vorhin gemeint hast«, sagte er. »Dass es dir fehlen wird, wenn ich nicht mehr nett zu dir bin. Meinst du, ich werde mich in einen Mistkerl wie Harold verwandeln?«
    »Nein«, sagte sie. »Ich habe nur gemeint, dass es mir fehlen wird, wenn es vorbei ist.«
    »Wenn was vorbei ist?« Doch natürlich wusste er es, so wie er wusste, dass er eigentlich gar nicht das Thema gewechselt hatte.
    »Wir«, sagte sie, und sein Herz sank. »Wenn das mit dir und mir vorbei ist.« Wieder zog sie die Schultern nach vorn, ihre typische Geste des Behagens, die er sie bisher nur hatte machen sehen, wenn sie sich auf etwas freute. »Ist schon okay«, sagte sie mit Tränen in den Augen. »Wirklich. Ich hab’s von Anfang an gewusst.«
    »Nein«, sagte er und schüttelte trotzig den Kopf wie ein Kind, dem man etwas sagt, das es nicht hören will. Denn wenn er ihren Schluss akzeptierte, war er wieder einmal an einer simplen Aufgabe gescheitert: den Abend zu überstehen, ohne diese Frau zum Weinen zu bringen, und somit Harold zu übertreffen. Konnte man die Latte noch niedriger legen? Das Ganze war mehr als demoralisierend. Er nahm Marguerites Gesicht in die Hände, küsste sie auf die Stirn und dachte dabei an jenen Tag vor langer Zeit, den ersten des Sommers mit den Brownings, als er von seinem Fenster unter dem Dach gesehen hatte, wie sein Vater seine Mutter in die Arme genommen und ihr gesagt hatte, die anderen Frauen in seinem Leben bedeuteten ihm nichts. Angesichts der fortgesetzten Untreue seiner Eltern hatte Griffin immer angenommen, dass er einfach gelogen hatte, aber nun erkannte er, dass sein Vater, um seine Mutter belügen zu können, erst sich selbst hatte belügen müssen. Wie sehr musste er sich gewünscht haben, das, was er ihr sagte, sei wahr. Immerhin verdiente sie es, und wenn er es irgendwie wahr machen  könnte, wäre der Beweis erbracht, dass er eben doch ein besserer Mensch war.
    »Hör zu«, sagte er zu Marguerite, auch sie eine Frau, die dies und noch viel mehr verdiente, »es war eine anstrengende Reise. Ohne dich hätte ich es nicht geschafft. Nichts davon.« Damit meinte er nicht nur den heutigen oder den gestrigen Tag, sondern die langen Monate nach dem Tod seiner Mutter. »Heute machen wir uns einen schönen Abend, und morgen steigen wir ins Flugzeug und fliegen heim nach L.A. «
    Heim nach L.A. Er hatte etwas Einfaches, Klares und Wahres sagen wollen, doch irgendwie hatte sich eine kleine Unwahrheit eingeschlichen, denn natürlich war L.A. nicht heim . »Du und ich, okay?«, fuhr er fort und spürte eine namenlose Panik in sich aufsteigen. »Keine Diskussion.«
    Und hier versagte seine Stimme, denn er wusste so gut wie sie, was nun kommen musste, welche Worte nun kommen mussten. Wenn er sie nur aussprechen könnte, würde er

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