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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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geschwebt, sie waren in ihren Nachthemden davongeflogen, wie Wendy und Peter, ihre Hand in seiner Hand, nicht seine Finger in ihr. Er hörte Onkel Femi und folgte den Anweisungen, er spürte die glatten Wände und die Wärme, die Feuchtigkeit, aber seine Gedanken waren nicht mit seinem Finger verbunden, sie waren bei Taiwo, vielleicht da, wo sie beide herkamen? Dann begann sein Körper. Der Beginn des Körperhabens, in diesem Moment. Die Flüssigkeit auf dem Schenkel, die sich anfühlte wie eine Schlange. Onkel Femi, der klatschte. »
E kuuse
, oh, Kehinde!« Seine Gedanken, die zurückkehrten.
    Zu diesem Ausdruck auf ihrem Gesicht.
    Wie konnte er ihr sagen, dass er keine Lust empfunden hatte, wenn doch hier, auf seiner Hose, der Beweis dafür zu sehen war? Wenn der Körper ihn verraten hatte, ihn und sie, unerklärlich? Wie konnte er sie überzeugen? Was konnte er sagen? Er konnte nichts sagen. Er sagte nichts. Sagt bis heute nichts. Während der ganzen Woche, in der es immer weiterging, sagte er kein Wort. Sagte nichts, als sie nach New York flogen und von Fola abgeholt wurden, als sie wieder in Boston waren. Auch nicht während der nächsten fünfzehn Jahre. Er hat nie über diesen Moment gesprochen (sie auch nicht), hat diesen Gesichtsausdruck nie mehr gesehen, bis heute, in dieser Hütte mit den Särgen und den Stethoskopen, in deren dämmriger Dunkelheit jetzt jemand sagt: »Sie da – sind Sie krank?«
    Erschrocken dreht sich Kehinde zu der Bank bei der Tür, und sieht dort einen Mann mit Zeitung, halb liegend, halb sitzend. Der Mann ist ziemlich alt, trägt Hosen und ein T-Shirt und alte Ledersandalen und einen schmutzigen weißen Kittel, ist klein und untersetzt, Bauch und dicke Brille. Keine Spur von der berühmten ghanaischen Herzlichkeit. Er hat die Zeitung sinken lassen, um Kehinde grimmig zu mustern, steht aber nicht auf, sondern fragt noch einmal: »Sind Sie krank?«
    Kehinde schüttelt den Kopf, fühlt sich überrumpelt, tritt einen Schritt zurück. »Ich habe Sie gar nicht gesehen.«
    »Klar, hier ist ja auch kein Licht. Zu heiß mit Licht. Ich, ich mag die Hitze nicht, oh. Ich sehe im Dunkeln. Sie sehen krank aus.« Er legt die Zeitung endgültig weg und erhebt sich etwas mühsam. »Sie kommen vom Hotel Big Milly? Ein Rasta-Mann,
ehn

    »N-nein«, stammelt Kehinde. »Wir sind wegen meines Vater hier. Er hat hier gelebt. Das heißt, er ist hier aufgewachsen. Jetzt ist er tot.«
    »Ihr Vater.« Der Mann schlurft näher zu Kehinde. »Der Sai-Junge? Ich hab schon gehört, dass er gestorben ist.« Kehinde nickt stumm. »Also wollen Sie einen Sarg. Wie heißen Sie?«
    »Kehinde.« Er streckt ihm die Hand hin.
    Der Mann nimmt seine Hand und fängt an, sie zu schütteln, doch dann dreht er sie um, damit er die Handfläche sehen kann. Er beugt sich vor und inspiziert die Schwielen. »Raue Haut. Sie sind ein Arbeiter.« Kehinde schüttelt den Kopf. »Warum sind dann die Hände so, so rau wie meine? Die Sais, die ich gekannt habe, ich selbst, die waren
Denker.
« Sarkastisch. »Der eine, der erste, der konnte wenigstens ein Haus bauen. Aber der Junge? Für nichts gut, immer nur denken, denken, denken. Er hat geglaubt, er ist schlau,
ehn
, zu schlau, um mit Holz zu arbeiten.
Tsss
. Ihre Hände sind gut, rau. Wie meine eigenen. Wie bei einem Mann.«
    »Ich bin Künstler«, sagt Kehinde.
    Der Mann lacht los. »Küüün-stler!« Er dehnte die erste Silbe. »Also
auch
ein Sai.« Er lässt Kehindes Hand los und schlurft nun zu den Fensterläden, entriegelt sie und drückt sie nach außen ins helle Licht. Kehinde beschattet mit einer Hand die Augen und blinzelt. Jetzt erst sieht er die Werkstatt im hinteren Teil der Hütte. Halbfertige Särge liegen aufgestapelt neben Holztischen. Vier Männer malen etwas, das aussieht wie ein Laib. »Bis zum Begräbnis kriegen wir keinen neuen fertig …«
    »Was wollen Sie damit sagen, Sir? Warum bin ich
auch
ein Sai?«
    Der Mann mustert ihn erstaunt wegen des drängenden Tonfalls. Kehinde ist seinerseits ebenfalls überrascht und schaut auf seine Hände, drückt sie aneinander, hält die linke mit der rechten, den Daumen auf der Handfläche, und versucht, das Brennen wegzureiben. Die herablassende Art dieses Fremden hat etwas an sich, was in ihm Aggressionen auslöst, was an sich schon ungewohnt ist, er weiß ja eigentlich nicht, was es heißt, wütend zu werden, einfach nur Wut zu empfinden, dieses brodelnde Gefühl, diesen Impuls, einem nachgiebigen Ding Gewalt anzutun. Er

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