Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Gelände betreten haben – ein dreieckiger Dom aus Schilf oder Stroh, mindestens anderthalb Meter höher als die Blechdächer drum herum –, aber erst jetzt denkt er an die Bemerkung seines Vaters. Kweku hat bei seinen Überlegungen zum Thema Miete versus Besitz damals etwas über seinen Vater gesagt: dass dieser »sein Haus selbst entworfen« hat. Olu fragt Naa: »Wer hat das entworfen? Wer hat es gebaut?«
»Sein Vater«, antwortet sie. »Euer Großvater. Komm.«
Sie ducken sich durch die Tür und stehen einen Augenblick reglos da, um sich an die relative Dunkelheit und die Stille zu gewöhnen. Der Raum ist viel kühler, als man nach der Hitze auf dem Platz draußen für möglich gehalten hätte. Olu blickt sich um: die abgerundeten Lehmwände, das fünf Meter hohe Dach, ein kleines Fenster, mattes Licht.
Eine intelligente Konstruktion
, denkt er. Ling fotografiert, das Blitzlicht wird immer wieder zurückgeworfen.
»Wir waren sechs, damals, mit deinem Vater«, erklärt Naa. »Und dann noch unsere Mutter.
Ehn
, sieben. Wir haben alle hier geschlafen.«
»Acht, mit eurem Vater«, sagt Olu. »Unserem Großvater.«
»Nein«, erwidert Naa schroff. »Der Mann ist verschwunden. Er war nicht unser Vater. Nur der Vater von Kweku und Ekua.«
»Ist er gestorben?«, fragt Olu.
»Nein. Er ist weggegangen.«
»Wohin?«
»Das weiß nur Gott.« Naa zuckt die Achseln. »Inzwischen ist er tot. Und seine beiden Kinder auch. Und seine Frau. Ein stolzer Mann. Die Frau, unsere Mutter, sie hat ihn zu sehr geliebt, oh. Zu sehr. Und wozu,
ehn
? Du bist gekommen, als sie gestorben ist. Die Frau war tot, aber er hat dich hierher gebracht, damit du sie siehst. Sonst ist er nie mehr gekommen, nur das eine Mal.« Sie lacht, ohne Freude. »Jetzt reicht der Platz. Dein Vater hat immer gejammert wegen Platz, jammer, jammer. ›Zu klein‹, ›zu heiß‹, immer zu heiß, wie ein weißer Mann.« Sie saugt an den Zähnen. »
Obroni
. Zu heiß im Schatten.« Sie schweigt einen Moment, die Hände an den Ellbogen. Dann, mit belegter Stimme: »So schade, ach. So jung. Mein kleiner Bruder. Dieser dumme Junge, unser Kweku.« Sie wischt sich die Augen mit der Rückseite des Arms. »Sie sagen, er hat ein großes, großes Haus gekauft. Wo es sehr, sehr kalt ist.«
Olu nickt. »Ja, das stimmt.«
»Dann hat er es wirklich getan.« Ein winziges Lächeln. »Du wartest hier. Ich komme gleich.« Sie wischt sich wieder die Augen, schlurft zum Ausgang, geht gebückt hinaus. »Ich gehe und komme.«
Ling tritt neben Olu, der vor dem einzigen Holzbett steht. »Was siehst du?«
Aber Olu weiß es nicht. Er hat gedacht, dass er etwas sieht, einen Vogel oder ein Insekt, etwas, das schnell um das Fenster herum fliegt, oben unterm Dach, aber als er jetzt darauf deutet, sieht er nichts, nur das staubige Licht, das auf die Matten scheint.
8
Kehinde schlendert zögernd zum Ausgang der Siedlung und bleibt bei der Mauer stehen, blickt nach links, blickt nach rechts. Das Klohäuschen war leer. Die Straße ist leer. Bensons Wagen steht schief und verlassen im Graben. Kehinde geht näher hin, um zu sehen, ob der Fahrer drinsitzt und schläft, aber der Fahrer ist nicht da. Er schaut die Straße hoch, wo mehrere kleine Buden stehen. Gleich dahinter eine große Einzelhütte. Sie sieht aus wie eine von diesen Blockhütten, diesen viereckigen Holzhäuschen, in denen sie bei den Pfadfindern übernachtet haben, in dem Jahr damals, als er das probiert hat, mit elf – ehe er es aufgab, so zu tun, als würden ihm diese Jungssachen gefallen, und er sich dann lieber dem Malen und dem Basteln mit Perlen gewidmet hat. Er merkt, dass sich dort drin etwas bewegt, ein Schatten. Vielleicht hat dieser Mensch Taiwo oder Fola oder Bensons Fahrer gesehen, die alle drei in den letzten zwanzig Minuten verschwunden sind. Es ist nicht weit bis dorthin. Im Eingang bleibt Kehinde kurz stehen, ehe er mit eingezogenem Kopf durch die niedrige Tür tritt. Im Dämmerlicht blinzelt er ein paarmal, dann sieht er, es ist die Werkstatt des Sargschreiners und gleichzeitig eine Art Klinik.
Den Mann sieht er nicht, nur einen Metalltisch, mit dem Grundwerkzeug für Schreinerarbeiten und für medizinische Untersuchungen. An den Wänden entlang Holzbänke, ein einziges Fenster neben der Tür, oben an der Decke ein rostiger Ventilator, der bei jeder seiner langsamen Umdrehungen quietscht. Etwas unpassend in dieser an eine Folterkammer erinnernde Umgebung: An einer Wand blinkt eine weiße
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