Diese eine Woche im November (German Edition)
Leuten in der Bar und kommt sich lächerlich vor. Das ist rasch vorbei. Er spürt Julias Körper, hört ihren schneller werdenden Atem, er zieht sie an sich. Sie tanzen zu einer Melodie, die seit Ewigkeiten auf den Plätzen Venedigs gespielt wird. Es ist romantisch und ein wenig traurig.
» Wie geht es ihr? « , fragt Julia in sein Ohr.
» Pippa? « Er lehnt den Kopf zurück. » Ich besuche sie morgen. «
» Wann wird sie entlassen? «
» Weiß ich nicht. «
» Ich hätte mich gern persönlich bei ihr bedankt. «
» Ich richte es ihr aus. «
» Ja. Tu das. «
Ein Blick, so ernst und schmerzvoll, dass Tonio irritiert zu tanzen vergisst.
» Richte ihr aus, sie soll dir in Zukunft immer sagen, wie ihr ums Herz ist. Was das betrifft, bist du nämlich ein ziemliches Katastrophengebiet. « Julia dreht sich zur Musik. » Sie soll nett zu dir sein, denn sonst, das kannst du ihr flüstern, komm ich aus Düsseldorf angeflogen und sehe nach dem Rechten. «
» Wieso redest du jetzt von Pippa? « Tonio gerät aus dem Takt.
Plötzlich kann Julia nicht mehr überlegen sein und gönnerhaft. Ihr hübsches Gesicht zerfließt, ihre Lippen zittern. Sie wirft sich an Tonios Hals.
» Was hast du? « Er streichelt sie. Er hält sie fest. Als ob Julia eine Sprache gesprochen hätte, die er im Traum gehört, aber nie verstanden hat, wird ihm allmählich alles klar. Er liebt sie und ahnt zugleich, dass Julia nicht das wahre Glück für ihn in Händen hält. Sie macht nur den Weg dafür bereit. Tonio lehnt sich gegen diese Erkenntnis auf. Für Julia hat er alles riskiert, für sie würde er noch viel mehr tun. Solche Gedanken gehen ihm durch den Kopf, während er vor der Wahrheit die Augen verschließt. Die Wahrheit ist so einfach. Tonio, der Dieb aus Venedig, hat sein Herz entdeckt. Es gehört einem jungen Mädchen, schlau und flink und schön, manchmal mürrisch, manchmal komisch. Dafür, dass Julia ihm das klarmacht, hasst er sie und liebt sie nur umso mehr.
Sie sehen einander an. Sprechen kann Tonio nicht und Julia ist es lieber so. Beide spüren, dass sie vielleicht ihren innigsten Moment erleben, als sie Abschied nehmen. Eines Tages, wenn diese Nacht in Venedig längst Erinnerung sein wird, mögen sie begreifen, dass die Minuten, als sie tanzten und Lebewohl sagten, das höchste Glück war, das sich vorstellen lässt.
Das Lied verklingt, die Musiker nehmen den Applaus entgegen. Julia und Tonio kehren nicht auf die Terrasse zurück. Er legt den Arm um ihre Schulter, umschlungen schlendern sie zum Kanal, der die alte Stadt in zwei Hälften teilt. Hinter ihnen spielt die Musik das nächste Stück. Es handelt vom Süden und vom Meer.
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N ach Ansicht der Ärzte müsste Rinaldo tot sein. Eine Transplantation wäre seine einzige Chance, meinen sie, denn seine eigene Pumpe sei so nutzlos wie ein verschrumpelter Luftballon. Und doch leistet Rinaldo sich den Luxus, selbst über seine Chancen zu entscheiden. Er unterschreibt eine Menge Papiere, damit man ihn gegen den Willen der Ärzte gehen lässt. Da sein Verstand einwandfrei funktioniert, bleibt ihnen keine andere Wahl.
Ein letztes Mal kehrt er ins Hauptquartier zurück, das diesen Namen nicht mehr verdient. Teile seines Zentralcomputers hat er selbst gelöscht, Teile wurden durch den Überfall zerstört. Der Rest ist schnell erledigt. Rinaldo packt eine weiße Hose ein, eine graue zieht er an. Ein leichtes venezianisches Hemd wandert in die Tasche, das dicke Baumwollhemd streift er über. Er zieht den grob gestrickten Pullover an. Auch wenn in Venedig trügerischer Frühling herrscht, kann ihn das nicht täuschen. Dort, wo Rinaldo hinwill, zieht der Winter ein.
Wie einfach ist der Aufbruch, wenn man sich einmal dazu entschlossen hat. Was bleibt zurück? Eine leere Schmiede und eine Menge Computerschrott. Rinaldo sagt der virtuellen Welt, in der er sich den größten Teil seines Lebens aufhielt, Lebewohl und hofft, nein er betet, dass die wirkliche Welt noch einen Platz für ihn hat.
Mit nichts als einer kleinen Tasche verlässt er das Hauptquartier. Wie ein x-beliebiger Tourist besteigt er das Vaporetto, bedankt sich bei dem jungen Mann, der ihm über die Stufe hilft. Das Gehen mit der Krücke ist noch ungewohnt. Jeder Schritt fällt schwer, jeder Atemzug ist eine Anstrengung. Doch das Ziel lässt Rinaldo den mühsamen Weg vergessen.
Langsam zieht der Wasserbus an den Fassaden vorbei. Der Fischmarkt hat seine Stände vor Stunden abgebaut, in den Hotels sind nur ein paar
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