Diese eine Woche im November (German Edition)
selbstbewussten Tochter. Er weiß, wie viel er dem tapferen Italiener verdankt. Nicht weniger als Julias Leben.
» Grüß ihn von mir. Er soll uns in Düsseldorf besuchen. «
» Mach ich. « Mit einem Sprung ist sie draußen.
Nachdenklich setzt sich Herbert an den Laptop.
***
Viele Jahre hat Tonio sich das gewünscht. Ein Abendessen mit seinem Vater. Heute, als es endlich so weit ist, schaut er alle Augenblicke auf die Uhr.
» Tag, mein Sohn. « Mit diesen Worten betrat Rodolfo das Stammcafé. Er trug nicht die Müllmann-Montur, sondern einen dunklen Pulli, neue Jeans und feines Schuhwerk, wie es Tonio noch nie an ihm gesehen hat.
» Papa, was ist mit dir passiert? «
» Ich lade dich zum Essen ein. «
» Du – mich? « Das Wunder war kaum noch zu übertreffen. Genau genommen war es der unglaublichste Vorschlag, den er von seinem Vater je gehört hatte.
» Pizza? Oder lieber Fisch? « , fragte Rodolfo.
» Ist es nicht noch zu früh zum Essen? « Tonio zahlte seinen Kaffee.
» Ich war den ganzen Tag auf den Beinen und habe mächtigen Kohldampf. « Rodolfo ging zur Tür.
» Schön, dann möchte ich Fisch. «
Sie sitzen in dem Fischlokal auf dem Campiello Morosini, unweit der Accademia-Brücke. Sie sitzen im Freien, und das Ende November. Eine Brise vom Wasser bewegt das Tischtuch. Als Vorspeise hatten sie Calamari, der Kellner filettiert gerade den Loup de Mer in Senfkruste, dazu gibt es Champignonspaghetti. Tonio kommt aus dem Staunen nicht heraus. Seiner Erinnerung nach aß sein alter Herr den Fisch sonst mit dem Messer aus der Dose. Dazu trank er literweise billigen Wein. Zu diesem edlen Fisch hätte ein Weißwein gut gepasst. Doch Rodolfo bleibt beim Wasser. Für den Jungen bestellte er Limonade.
» Das verstehe ich nicht. Du liebst doch Wein. «
» Ich liebe den Wein auch weiterhin, aber aus der Ferne. Bekommt mir besser. «
Tonio nimmt den ersten Bissen. Schmeckt merkwürdig mit dem Senfzeug, aber er will dem Vater das Essen nicht verderben. Weshalb muss es ausgerechnet heute Abend sein? In einer halben Stunde ist er mit Julia verabredet, dazu muss er quer durch die Stadt.
» Was sind so deine Pläne? « Rodolfo schaufelt die Spaghetti mit der Gabel.
» Was soll ich schon für Pläne haben? «
» Ich dachte, du fängst vielleicht eine Ausbildung an. «
» Ausbildung – in meinem Alter? Ist es dafür nicht zu spät? «
» Es ist nie zu spät « , ewidert Rodolfo. » Du bist ein heller Bursche. Ich will nicht, dass du dein Leben lang … das machst, was du gerade machst. «
Schweigend sieht Tonio seinen Papa an. Was ist in den brutalen, egoistischen, verkommenen Menschen gefahren?
» Du bist zu gut, als dass du endest wie ich. Lass dir das gesagt sein. Ich möchte in Zukunft … « Rodolfo hält den Blick auf den Teller gesenkt. » Mehr darauf achten, wie du durchs Leben kommst. Bin schließlich immer noch dein Vater. «
» Ja, das bist du « , antwortet Tonio, und seine Stimme klingt mit einem Mal ganz weich.
» Überleg dir, was du werden willst, dann denken wir darüber nach, wie wir das hinkriegen. Ich verdiene natürlich nicht viel, aber – « Er räuspert sich. » Wir schaffen das schon. « Stille. » Schmeckt dir der Fisch? «
» Also, ehrlich gestanden … «
» Mir auch nicht. « Der Vater schiebt den Teller von sich. » Mit dem verdammten Senf haben sie alles ruiniert. « Er sieht sich nach der Kellnerin um. » Essen wir eben was Süßes. «
» Papa – « Tonio möchte Julia keinesfalls warten lassen. » Ich bin verabredet. «
» Mit wem? «
» Julia. «
» Die Kleine, die so gern in Unterwäsche rumläuft? « Auf Tonios strengen Blick hebt er die Hand. » Ich weiß, ich weiß schon. Wo seid ihr verabredet? «
Tonio sagt es ihm.
» Was machst du dann noch hier? Hau ab, sonst schaffst du das unmöglich. Liegt ja halb Venedig dazwischen. «
» Du bist nicht böse? «
» Wieso? Sehen wir uns ab jetzt nicht öfter? «
Tonio ist es egal, dass die Leute zuschauen, egal, dass er die Öl- und Essigflaschen beinahe umwirft, egal, dass ihn sein alter Herr so komisch mustert. Er fliegt ihm an den Hals und gibt ihm einen fetten Kuss. » Natürlich sehen wir uns. Könntest du dir nicht endlich ein Handy zulegen, damit man sich vernünftig verabreden kann? « Er zieht die Jacke über. » Ich schenk dir eins. Hast du nicht bald Geburtstag? «
» Erst im September. «
» Schön, dann eben zu Weihnachten « , ruft Tonio und rennt über den Platz in Richtung Brücke.
Der Vater
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