Diese Sehnsucht in meinem Herzen
sie sich dezent zurück, damit die beiden in Ruhe mit dem Jungen reden konnten.
Und obwohl Nate der Frau gleich vermittelt hatte, dass eigentlich nur Josey Mikes Besucherin war, hatte die ihn sanft beim Arm genommen und ihm damit zu verstehen gegeben, dass er dabei sein sollte.
Unglücklicherweise wurde ihr dabei auch klar, wie sehr sie sich immer noch nach ihm sehnte. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich, als sie Nate berührte, und als sie seinen Duft einatmete, rieselte ihr ein Schauer durch den ganzen Körper.
Mikes neues Zimmer war in fröhlichen Farben eingerichtet. An den Wänden hingen Tierbilder, am Boden lag ein Teppich in leuchtendem Blau. Josey konnte sich gut vorstellen, dass ihr das Zimmer als kleines Mädchen gut gefallen hätte.
Der Junge saß auf dem Boden neben dem Bett, um ihn herum lagen Legosteine.
Als er zu Josey hochschaute, konnte man ihm zwar anmerken, dass er sie kannte, ansonsten zeigte er aber keine Reaktion. Teilnahmslos nahm er einen blauen Baustein auf und setzte ihn auf die Spitze des wackeligen Turmes, den er gerade zusammensteckte. Josey wagte ein Lächeln. „Hallo, Mike. Wir vermissen dich in der Schule, also dachte ich mir, ich komme dich mal besuchen. Was baust du denn da?“
Keine Antwort. Josey setzte sich auf den Boden neben den kleinen Jungen und beobachtete dabei sein ausdrucksloses Gesicht. „Darf ich mitmachen?“ fragte sie, und Mike drückte ihr ein rotes Steinchen in die Hand. „Soll ich es ganz nach oben stecken, so wie du eben? Oder ganz nach unten?“ Wenn dieser schiefe Legoturm keine anständige Basis bekam, würde er bald einstürzen. Mike zuckte bloß mit den Schultern, also drückte Josey das Steinchen unten fest. „So. Da macht es sich gut, finde ich.“
Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Nate, der sich auf den Bettrand gesetzt hatte. Sie brauchte ihn gar nicht genauer anzusehen, um festzustellen, dass er sich gerade genauso unwohl fühlte wie damals in ihrem Klassenzimmer, als ihre Schülerin Sara ihr Heft vergessen hatte. Und diesmal war Nate wahrscheinlich sogar noch nervöser, weil er genau dasselbe erlebt hatte wie Mike und es immer wieder erlebte – in seiner Erinnerung.
Josey legte dem Jungen eine Hand auf den Arm. „Ich möchte dir gern Nate vorstellen. Er ist mein…“ Sie zögerte, weil sie sich unsicher war, wie Nate ihre Worte auffassen würde, aber in diesem Moment war es wichtig, dass Mike sich so sicher wie möglich fühlte. „… bester Freund.“
Verstohlen blickte sie zu Nate hinüber, fragte sich allerdings, ob er sie überhaupt gehört hatte. „Hallo, Mike“, sagte Nate nach einer Weile und klang dabei bewundernswert selbstsicher.
Der Junge reagierte immer noch nicht.
Erneut setzte Josey an: „Ich weiß, dass wir uns noch nicht besonders lange kennen, aber ich hoffe, dass ich für dich so etwas wie eine Freundin bin. Ich bin deine Lehrerin, aber auch deine Freundin. Das weißt du doch, oder?“
Keine Antwort.
„Und wenn du mit jemandem befreundet bist, dann kannst du ihm auch alles erzählen, was dir auf dem Herzen liegt. Gibt es vielleicht etwas, worüber du mit mir reden möchtest?“
Zu diesem Zeitpunkt wäre Josey sogar mit einem Nein zufrieden gewesen. Dann hätte sie wenigstens sicher sein können, dass der Junge sie überhaupt gehört hatte.
Mike griff nach einem weiteren Legostein, strich aber bloß über dessen glatte Oberfläche, ohne ihn vom Boden aufzuheben. Nun sah Josey zu Nate herüber, aber er wirkte genauso verschlossen wie der Junge.
Da plötzlich kam ihr eine Idee. Ein heftiges Kribbeln durchfuhr sie, so aufgeregt war sie bei dem Gedanken daran. Trotzdem gelang es ihr aufzustehen.
Mike und Nate sahen zu ihr hoch.
„Ich möchte…“ Sie blickte zur Zimmertür. „Ich gehe mal kurz zur Toilette.“ Sie machte ein paar Schritte, drehte sich dann zu Nate um und sah in seinen Augen die blanke Panik. Ohne Worte flehte er sie an, ihn nicht mit dem Jungen allein zu lassen. Sie schaute in das Gesicht des Mannes, den sie so sehr liebte, und legte alles, was sie für ihn empfand, in ihren Blick.
Dann verließ sie den Raum.
Nate fixierte die Tür, durch die Josey gerade verschwunden war. Solange er in diese Richtung schaute, musste er nämlich nicht den kleinen Jungen ansehen, mit dem er jetzt allein im Zimmer war.
Aber die Minuten verstrichen, und Mike saß ganz ruhig mit einem blauen Legosteinchen da, während Nate unruhig mit dem Bein wippte. Wo blieb Josey bloß?
Es ist schon seltsam, dachte Nate.
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